— 257 —
seine psychologische Charakteristik des Maimonides, dem er die seelische Anlage für die Mystik vollständig abspricht, ohne darin einen Fehler zu erblicken. Im Gegenteil, er' weist Maimonides einen, wenn man so sagen kann, psychochemischen Ursprung an, aus einer Sphäre, die als XNNU weit höher liegt als die untere
Sphäre, welcher die Kabbala entspringt. Damit will er jedoch keineswegs dem von R. Avigdor und der ganzen Schule aufgestellten Prinzipe eutgegentreten, das in dein vom berühmten Lneii (st. 1641) in Resp. 4 aufgestellten Satze gipfelt, daß die Kabbala die Seele der Halacha sei. Dieser scheinbar verwickelte Widerspruch läßt sich auf zweifache Art lösen. Nehmen wir z. B. Maimonides als Arzt! Nach den Hymnen, welche arabische Dichter auf ihn verfaßten, war er die Sonne der Heilwissenschaft. Jedenfalls war er der berühmteste Arzt seiner Zeit und mußte, was ja die eigentliche Werthprobe des Arztes ist, wohl eine große Zahl von besonderen Erfolgen aufzuweisen gehabt haben, wenn ihn Sultan Saladin zu seinem Leibarzte machte und Richard Löwenherz als solchen nach London einlud. Dennoch steht seine medizinische Wissenschaft im Banne seines Lehrers Avicenna (mittelalterliche Corrnptel für Abn Sina), dessen medizinischer Canon die Fundgrube dieser Wissenschaft für das Mittelalter war. Im Vergleiche zu der auf mikroskopischer Bakteriologie,
Röntgenstrahlendiagnose und moderner Chemie aufgebauten heutigen Pathologie hat Avicenna mit den Theorien seiner aufgeklärt seichten Aristotelik den Werth eines chemischen Pseilbogens gegen einen Torpedoschleuderer, den einer altrömischen Rudergaleere gegen ein unterseeisches Kriegsschiff abgiebt, und dennoch sind in der Praxis die Heilerfolge des alten Arztes mit seinem instinktiven medizinischen Blicke größere gewesen als die des modernen Nihilisten der Medizin. Was die neueste Wissenschaft für die Kenntniß des menschlichen Körpers, das bedeutet die Kabbala für die Kenntnis; des Baues der Thora.
Noch frappanter wird das Gleichniß in der Psychologie, die sich heute noch im Stadium der Zukunftwissenschaft befindet und mühsam aus dem Embryo des Samenkornes die Erdhülle als kaum sichtbares zartes Pflänzchen durchbricht. Es ist das Stadium, aus welchem sich die neue Wissenschaft der Chemie aus der Larve der Alchymie zu Anfang des 18. Jahrhunderts herauszuschälen begann. Bei Maimonides (im iVlorsll) ist die Seele halb und halb ein bloßer aristotelischer nichtssagender „Begriff", auf welchen in der Halbvergangenheit Hegel seine Münch- hausiade anfgebaut hat, um sich an den eigenen Haaren ans dem Wasser zu ziehen. Maimonides kommt das von Abrabanel nachgewiescne Prinzip der Tanaiten zu statten, die unberufenen fremden Spionen keinen Einblick in das Heiligthum gewähren. Als R. Jochanan ben Sakkai fragelustigen Römern die Gründe mancher Gebote auseinandersetzte, fragten ihn dann seine Schüler: Deine Feinde hast Du mit Strohhalmen abgewehrt, was sagst Du aber uns? Nun hatte R. Jochanan ben Sakkai die Schlüssel in Verwährung, Maimonides nicht. Aber seine eigene Seelenhoheit, unbewußt und unerkannt, überhob ihn jeder Seelenanalyse, und so wie er in der Halacha instinktiv das Richtige aus zahllosen widersprechenden Meinungen und Richtungen herauszufinden wußte, so führte ihn das Prinzip des Gehorsams gegen den Willen des göttlichen Gesetzgebers, den unerforschlichen und keinem teleologischen Grunde unterworfenen, ebenso sicher zum Ziele, als das feinste Verständlich des inneren Baues. Er selbst charakterisirt den Unterschied beider Systeme im iUoreii in dem Kapitel über die Teleologie in der Schöpfung in dem Lehrsätze:
x^x HX- Es giebt keinen Urzweck, sondern nur den
Willen", denn das Schlußresultat aller Forschung nach den Gründen gelangt immer an Schlußpunkte, wo man sagen muß: 171Q2N ^2 „So wollte
Er" oder „so beschloß es Seine Weisheit".