258
In der bildnerischen Kunst der Kabbala zeigt sich dieser philosophische Syllogismus als zwei grundverschiedene Systemgebäude. Bei dem einen ist die Krone der Wille, der an die Stelle des Bewußtseins tritt, bei dem andern ist es die Weisheit, und an die Stelle des Willens tritt das Bewußtsein (NP1), das die Gefühle und Handlungen erzeugt, wogegen der Wille als Schlußprodukt eines weit höher liegenden unfaßbaren Sphärensystems der Betrachtung entrückt ist. Die Forschung bewegt sich innerhalb der Grenzen des zweiten Systems, sowohl in der äußeren Natur als in dem Bau des Mensche»: und seines Nervensystems, der 32 Gehirnkammern (NQ2NN 2"^) und ebenso vieler Nervenpfade. Was
für den Mikrokosmos gilt, entspricht dem Bau des Makrokosmos, des Universums.
Die Feder kümmert sich freilich nicht um die Gesetze der Dynamik und der Physiologie, die ihr der weitverzweigte Weg der Nervenbahnen vom Willen bis zur Handlung auserlegt, aber der Forscher, der in das Innere einzudringen sucht, mißt sogar die Wellenschwingungen des Aethers, dessen Existenz bis zu diesem Resultate ebenso geleugnet werden konnte, wie die der Seele.
Ganz dasselbe Verhältniß besteht zwischen Halacha und Kabbala, Willenshandlung und Beseelung der Lehre. Die praktische Probe des Exempels liefert die Kosmogonie, die Schöpfungslehre des NunWölt Lsrosollitll. Für Maimonides ist dieselbe eigentlich oder vielmehr scheinbar ebenso irrelevant, wie für den Frager im Midrasch R. Isaak, den Raschi als Hüter vor den Eingang zur Thora stellt, da er sagt: „Es wäre nicht nöthig gewesen, mit der Schöpfungslehre zu beginnen, sondern mit dem ersten Gebote an Israel in Aegypten: Dieser Monat soll Euch der Erste des Jahres sein." Zeit und Handlung sind wohl Motore des menschlichen Daseins, aber die Thora will den Menschen über Zeit und Raum zu dem Unfaßbaren erheben.
In der finsteren Nacht des Exils, von welcher der Prophet Jesaia sagte: „Es wird verloren gehen die Weisheit seiner Weisen, und die bauende Kraft seiner Verständigen wird sich verbergen," als die griechische Afterwissenschaft das chinesische Stabilitätsprinzip proklamirte, den Anfang leugnete, ohne daß den Trugschlüssen einer falschen Logik mit Vernunstgründen beizukommen war, erklärt Maimonides, daß, wenn es Aristoteles gelungen wäre, einen mathematischen Beweis für das Knäuius, die Stabilität, zu konstruiren, nicht bloße tendenziöse Wahrscheinlichkeitsbeweise, so würde man die Schöpfnngslehre allegorisiren müssen. Aber die Wahrheit kann glücklicherweise zu dieser Konzession an die Lüge nicht gezwungen werden. Die Kabbala sprengt nun mit ihrem Dynamit das Lügengebäude in die Luft. Der Talmud hat die kostbaren Kleinodien der uralten Prophetenwissenschaft beim Untergange gerettet, in zerstreuten Sentenzen dem Auge des nach den Geistesschätzen spähenden Feindes entzogen, und erst nach einem Jahrtausend, als derselbe bei Wein, Weiber und Gesang über den Reizen weltlicher Herrschaft die Fährte verloren hatte, wagten sich die Söhne der Weisen wieder an das Tageslicht, vorerst mit schüchternen, unsicheren Schritten. So sagt der Nestor der Kabbala, daß die ersten Kabbalisten der neuen Aera die uralte Kosmogonie trotz Inspiration mißverstanden hätten, daß die Epochentheorie (NDVLst sich in einem Mißverständniß bewege. Davon wäre also auch R. Avigdor Kroo nicht ausznnehmen, trotz seiner von keinem Vorgänger nachweisbaren, unerreichten Tiefe auf dem Gebiete dieser Lehre. So vorsichtig der unerfahrene Schiffer seinen zerbrechlichen Nachen über diese Untiefen steuern muß, so scheint der Angriffspunkt (S. 226) in der am talmudischcn Texte PU'2 TUN 12'INM vorgenommenen Aenderung in 2N ^2^NQ' PU12
zu liegen, wobei auf den Schlußsatz ^ HUN H'7
überhaupt keine Rücksicht genommen zu sein scheint. Damit wäre nur ein erweitertes,