Druckschrift 
Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
Entstehung
Seite
261
Einzelbild herunterladen

261

nicht irre, am Neujahrsfeste, einen 14 jährigen Knaben mit dem Schofarblasen betraut habe, ohne auf seine Indignation zu achten. So sehr war das Verständnis; für den Ernst der rituellen Vorschriften in sogenannten Gelehrtenkreisen gesunken, bevor noch die Reform ihr Haupt erhoben hatte! Wir sehen jedoch nicht ohne Ueber- raschung, daß dieser Jndifferentismus sich schon im 14. Jahrhundert breit macht, während andererseits ein Heroismus der Frömmigkeit und des Märtyrerthums herrschte, Gegensätze, wie sie nur bei einem so unberechenbaren, jeder Gcneralisirung des Urtheils sich entziehenden Volke, wie das jüdische es ist, Vorkommen können.

Zeitgenosse des R. Avigdor Kroo war der berühmte Mahril, R. Jakob Levi von Nürnberg, der Schöpfer der berühmten Ritualgesünge (starb 1427, 12 Jahre vor R. Avigdor Kroo). Es waren schwere Zeiten, in denen Oesterreich sich den Namen Li '62 Uncknrmm, des Blutlandes, erwarb (Resp. des Mahril). Albrecht II., ungekrönter deutscher König, verfolgte die Juden mit Feuer und Schwert, ließ zahllose, heldenmüthige Märtyrer den Scheiterhaufen besteigen. Im Todesjahre des R. Avigdor Kroo ereilte ihn das Verhängniß im Türkenkriege, wo sein Heer durch die Seuche aufgerieben wurde und er auf dem Rückwege in Langcndors starb. Mit seinem, nach seinem Tode geborenen Sohne Ladislaus Posthumus, der 1467 kinderlos starb, erlosch die österreichische Linie Habsburg. Eine Zeit, deren Schrecken nur übertroffen wurden durch den furchtbaren Ernst der Männer, welche die Allmacht als Hüter Israels bestellt hatte.

Rückblick auf die erste Epoche (17401815).

Bevor wir von jenem Zeitalter, in welchem der Chaßidismus seinen geistigen Höhepunkt erreicht hatte, Abschied nehmen, ohne das innerste Wesen desselben mehr als flüchtig gestreift zu haben, wollen wir dem Leser noch einen Einblick in die Werkstätte seiner Führer durch Uebersetzung einer Abhandlung des Kockusekns Iwvi, Rabbiners Levi Jsak Derbarmiger von Berdyczcw, des größten Schülers des R. Ber Meseritscher, gewähren.

Derselbe schreibt in Xsäuscrks, sednija (Anhang zu seinein Kommentar), II, 11:Jetzt wollen wir mit Hilfe des Herrn des Weltalls das Gebot 7MNV O'IVIX? der Geschenke an die Armen am Purim, erklären, gleichzeitig mit einigen Agadas unserer Weisen, die den Vers in Jesaia 55,13 allegorisch auslegen: «An Stelle der Dornhecke wird die Akazie emporschießen, an Stelle Hamans, der sich in seinem Wahn als Abgott dünkte (MnMÄm Jes. VII, 19 als Götzenhaine) erhebt sich Mardochai (U6ro8ok-1l688amim Kosak, denn das Targum übersetzt diesen Namen des ersten Gewürzes mit Nsrnclnekig.).» Nun sind zwar diese Anspielungen, die unsere Weisen gebrauchen, an sich in ihrer poetischen Eigenart schön, dennoch glaube ich in meiner Einfachheit und Niedrigkeit, dieselben etwas mundgerechter machen zu sollen.

Es heißt im Talmud Sanhedrin 101k: Mar Sutra, nach Anderen Mar Ukba, sagt: Ursprünglich ist die Thora Israel in althebräischer Schrift und hebräischer Sprache gegeben worden, dann durch Esra in der neuen Quadratschrift tMsokurit) und in aramäischer Uebersetzung. Ferner sagt dort eine Baraitha: R. Jose sagt, Esra wäre würdig gewesen, daß die Thora durch ihn geoffenbart worden wäre, wenn dies nicht bereits durch Mosche geschehen wäre; dafür ist ihm die Einführung neuer Schriftlichen übergeben worden. Suchen wir vorerst eine Erklärung dafür, warum Esra zu dieser Aenderung ausersehen war. (Anm. Der Talmud Sebachim 62 n sagt im Namen des R. Elieser ben Jacob: Drei Propheten sind mit den Exulanten aus Babylonien zurückgekehrt; der eine bezeugte ihnen den Umfang der alten Tempelstättc, der zweite den Ort des Altars, der dritte, daß die Schrift der Thora nunmehr die neue Quadratschrift sein solle.) Mir scheint, daß die Exulanten