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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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den Wiederaufbau des Tempels, den die Perserkönige zu wiederholten Malen einzustellen befahlen, nur dem Umstande zu danken haben, daß sie, wie der Talmud sagt, lluäur iribludu dima ^elwLebvkroKcii, die Thora angesichts der wunderbaren Errettung Israels aus reiner Liebe für alle Zeiten nochmals angenommen haben. Denn obwohl die Propheten den Wiederaufbau verkündet hatten, mußten doch zur Erfüllung der Prophezeiungen auch gute Vorsätze und Buße Mitwirken. So sagt Nachmanides, daß in Aegypten die den Patriarchen versprochene Erlösung erst eintraf, als das Flehen Israels um Erlösung aus dem Drucke zum Höchsten emporstieg. Nun war das Wunder zur Zeit Esters ein sogenanntes natürliches. Der Wille des Königs zu Gunsten Hamans gegen Israel schlug für dasselbe zu Gunsten Mordochais und Esters um, und so wurde auch der Tempelbau freigegeben. So verhält sich überhaupt der zweite Tempel und seine Epoche zu dem ersten mit seiner Epoche der Propheten, wie die praktische Welt der Natur zu der idealen Welt des Gedankens. In welchem Connex steht die Schrift dazu? Die Schrift an sich ist die Vermittlerin zwischen Idee und Körperlichkeit. Der Sohar sagt (im Einklänge mit dem Midrasch): die Welt ist nach dem Prototyp der Thora beschaffen. Die 22 Buchstaben der menschlichen Sprache entsprechen den Elementen, aus welchen alle Welten zusammengesetzt wurden. Nun giebt es kabbalistische Er­klärungen über die Formen der Buchstaben, womit sich das Buch l6iuuug.Ii und die Schriften des ^ui, auch die der heiligen Leuchte R. Israel Balschemtow, beschäftigen, und so habe ich es von meinem heiligen Lehrer R. Dowber sel. A. gehört. Derselbe stellte nun die Frage: Man sagt uns, daß der Buchstabe ckock den Punkt, die Konzentration, "Wuv die Linie, die Bewegung, Loiiin 3 Linien, von denen zwei entgegengesetzte sich in der mittleren vereinigen, ^lepii zwei entgegen­gesetzte Pole, einen oberen, einen unteren und dazwischen eine Linie (Aequator) bedeuten. Das sind ja doch räumliche Begrenzungen, während es in der Vernunft- und Engelwelt weder ein Oben noch ein Unten, keine Beschränkung und keine Ausdehnung geben kann. Nun, sagte mein Lehrer, sind diese Begriffe so zu verstehen, daß dieselben überhaupt erst im Gehirne des Menschen entstehen, wenn die höheren Welten und Lichter, wie wir sie nennen, sich dem menschlichen Gedankenkreise mittheilen und dessen physische Bekleidungen annchmen. Dann erscheinen in den bildnerischen Vorstellungen des Körpers die Lichter des Geistes in der Vorstellung der Buch­staben; so bezeichnet z. B. die Konkretion des Verstandes, wie der Lehrer sein ganzes Gedankensystem, um es zum Verständniß des Schülers zu bringen, in einen Punkt zusammenfassen muß, der Buchstabe ckock. Die darauf folgende Entwickelung in einer bestimmten Richtung bezeichnet das Das ist die Ueberlieferung

meines Lehrers, daß nämlich die äußere Form der Buchstaben nur das Verhältnis darstellen soll, in welchem die Erleuchtungen des Geistes und der höheren Welten in den materialistischen Körper des Menschen durchschimmern; aber objektiv giebt es oben keinerlei Formbegriff. Nun giebt es Buchstaben der Schrift und der Sprache, die sich zu einander verhalten, wie Körper und Geist, äußere Natur und formenfreier Verstand. So im Loksr ckerügii: Lokor, Koker, Kippur. Keksr ist die Gedankenwelt an' sich, Koksr und Kippur, die durch Vermittelung in die äußere Erscheinung getretene Wirkung jener (s. Nachmanides z. St.). Zu Esra's Zeiten mußte daher die Schrift eine neue vollkommenere Gestalt annehmen, weil zum ersten Male die äußere Natur, ohne gewaltsamen Eingriff des Wunders aus höheren Regionen, sich in den Dienst der Verstandeswelt stellte, zum ersten Male also die Harmonie (lürkuu) hergestellt war, so daß die höheren Lichter auf geradem Wege ihren Weg in die materialistische Welt finden konnten, was früher noch nicht der Fall gewesen war. So war auch die zweite Befreiung ein Wunder auf