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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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Störungen". Darauf antwortete R. Hirsch:Sie belästigen auch mich; aber wie ich nur das erste Wort slckon (»am ausspreche, ist Alles verflogen".

Der gesellschaftliche Abstand zwischen dem großen Gelehrten und dem Diener war sonst so groß, daß R. Joses, wie er im hohen Alter selbst erzählte, sprachlos vor Erstaunen war über die von seinem Vater bewiesene Selbstverleugnung und Unterordnung. Als derFnd" die Vermittelung des R. Mendel Rhmanower in dem Zwiespalt ansuchte, der zwischen ihm und seinem Lehrer ausgebrochen war, erkannte er, daß er sich an den Diener wenden müsse, dainit ihm dieser zu einer intimen Besprechung mit seinem Lehrer verhelfe. Die Antwort, welche der schlichte Diener dem außerordentlichen Gelehrten ertheilte, von dem die Großen sagten, daß er den höchsten Geistesflug unter den Zaddikim seiner Zeit genommen,

setzte diesen so in Erstaunen, daß er seine Ueberraschung vor seiner Umgebung nicht verhehlte. Ich Hütte, sagte er, bei dem Kleinen niemals eine derartige Weisheit ver­machet; er hat (ein polnischer Bauernausdruck) Äsäin iMurnov, siebenfachen

Verstand. R. Hirsch selbst erzählte: Er (derJüd") hat damals drei Viertel­stunden mit mir gesprochen; er hat von mir nichts erfahren, ich aber habe erfahren, was ich wissen wollte. Als er nach dem Tode seines Lehrers den gefürchteten R. Uri Strelisker besuchte, in Begleitung seines Famulus R. Hirsch Dubetzker, den ich in hohem Alter als einen Mann von seltenen Eigenschaften kennen und schützen lernte, saßen Beide zusammen am Ausgange des Sabbaths bei einem ärmlichen Mahle (»viaevo maltza), wobei der Famulus im zweiten Zimmer an der Thür stand. Es dauerte von 10 Uhr bis 4 Uhr Morgens, wobei die beiden Männer im eifrigsten Gespräche aus und ab gingen. Ich habe kein Wort ver­standen, erzählte mir der liebe Alte. Nur beim Abschied hörte ich, wie R. Uri,

dem R. Hirsch auf die Achsel klopfend, sagte: Wir haben wwieMrw zu sein (zn beneiden) den Amora Rab (so bei Main,.), von dem es heißt, daß er in seinen: Leben kein überflüssiges Wort gesprochen.

Es ist für den Außenstehenden schwer, sich von der Atmosphäre dieses uralten jüdischen Geisteslebens dieser merkwürdigen Männer einen richtigen Begriff zn machen, über welche das Bücherstudium eben so unzureichenden Aufschluß giebt, wie über die inneren seelischen Vorgänge des höheren Bewußtseins. R. Hirsch war in dieser Beziehung weit verschlossener und weniger mittheilsam als R. Uri, von dessen Aeußerungeu folgende im Imre I(ock68oll niedergeschriebenen hier Platz finden sollen:

1. Mein Lehrer, R. Salomo von Karlin, sagte: Wenn der Kleinste unter den Tanaim oder selbst unter den Amoraim den Größten unserer Zeit anschauen würde, so würde er ihn wie einen Fisch zerreißen, so unerträglich würde er ihn finden. Darum muß man mit besonderer Demnth und Buße an das Studium ihrer heiligen Worte gehen.

2. Man nannte ihn (R. S.) den kleinen Balschemtow wegen seiner zahl­reichen NoiÄin (Wunder); ich habe von ihm nichts Anderes als Gottesdienst lernen wollen.

3. Mein Lehrer hatte die Fähigkeit, die Niedrigsten aus der Tiefe der Rohheit und des Materialismus bis in die höchsten Höhen zu erheben.

4. Seine Leute waren von der Kategorie, von denen es heißt:Und die Heere des Himmels bücken sich Dir."

5. Der Zaddik ist ein Seelenzentrum Israels; mein Lehrer war jedoch

ein Hauptzentrum, so daß seine Leute verschiedene Seelenzcntren bildeten.

So kommt es, daß ich fast eine größere Anzahl (einfacher) Anhänger habe, wie mein Lehrer.