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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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Hallucinatiou, denn anstatt des Spiegelbildes sahen sie einen alten Inden, der mit dem Finger drohte.Miecislaw, laß gehen", ries die zu Tode erschrockene Gräfin ihrem Manne zu. Leichenblaß antwortete derselbe, daß ihm seine Ehre verbiete, die Erhebung im Stiche zu lassen. Die Gräfin mit ihren Kindern begleitete ihn nunmehr in der Kalesche in die Stadt. Er war zu Pferde, von einein Stallknecht begleitet, und ein verdeckter Packwagen mit Gewehren und Munition für die Verbündeten folgte nach. Als der Zug das die Straße nach Tarnow etwa auf zwei Kilometer Länge einsäumcnde Wäldchen vor Dembitza erreichte, überfiel die Hallucinatiou den Grasen zum zweiten Male. Es schien ihm, als träte der Alte aus dem Walde und versetzte ihm eure so wuchtige Ohrfeige, daß er seiner Sinne nicht mehr mächtig war. Nicht im Stande, sich auf dein Pferde zu halten, stieg er zu seiner Frau in die Kalesche, die in einigen Minuten vor der kleinen Holzbrücke anlangte, die über den Bach in das Städtchen führt, dessen erstes Gebäude die alte Synagoge bildet. In einer Schenke neben dem Bache befanden sich sechs oder acht Stromer, darunter ein buckliger polnischer Schuster Namens Porys. Als er die Equipage des Grafen herankommen sah, hatte er den tollkühnen Einsall, dieselbe anzuhalten und, da der Gras sein Jagdgewehr drin hatte, ihn zu fragen, wozu er bewaffnet in die Stadt komme. Der Graf saß sprachlos da, die Gräfin sagte:Aber Kinder, was ist mit Euch geschehen?" und verlegte sich aufs Parlamentiren. Porys aber nahm das Gewehr, um zu sehen, ob es ungeladen sei, entsprechend den freundlichen Versicherungen und drückte es in den Bach ab. Als der Schuß krachte, flüchtete die ganze Bevölkerung des Städtchens auf die Böden und in die Keller. Man ließ, da man gerade mit dem Backen der Sabbathbrote beschäftigt war, den Teig aus der Hand fallen. Einer meiner Bekannten, der gerade an diesem Freitag geboren war, ging auf der Flucht fast verloren. Der Schrecken lag in der Lust, denn trotz der vorzüglichen Organisation der geschicktesten Verschwörer der Revolutionszeit waren durch befreundete Förster und Lakaien Warnungen vor bevorstehenden Massacrcs dnrchgesickert. Nach diesem Schüsse, der das Gewehr als geladen konstatirt hatte, nahm das neu improvisirte Schusterftadtoberhaupt eine ganz andere Haltung an. Man schleppte den Grafen aus dem Wagen und schlug auf ihn mit den Fäusten los, da die paar Vagabunden nicht einmal Stücke hatten. Da kam eine Holzfuhre

des Weges. Man ergriff die Scheite und hieb damit auf den unglücklichen Grafen los, daß die ganze Breite der Landstraße von seinem Blute geröthet wurde. Während dieses Vorganges flammten in allen Dörfern Feuerzeichen aus Strohgarben auf. In einer halben Stunde war die Bauernbevölkerung aus einigen Dörfern am Platze. Man hatte den Leichnam des Grafen in die Apotheke geschafft mit noch sechszehn Leichen von Edellenten, die von den ankommenden Schaaren erschlagen worden waren. Ein Bauer wollte sich überzeugen, ob der Graf schon todt sei und rannte

ihm eine Heugabel in den Leib. Der Gras hatte noch die Kraft, dieselbe zu er­

greifen und von sich abzuhalten, bis ihm der Garaus gemacht wurde.

Und nun entspannen sich jene grauenhaften Metzeleien und schauerlichen Grausamkeiten einer durch ein Jahrtausend in völliger Verthierung gehaltenen Bauernrasse, wie mau sie sonst nur Buschmännern und Patagoniern zugetraut Hütte. Die Augenzeugen dieser Szene sind heute noch rüstige Greise, und es ist eine tendenziöse Entstellung in das Lexikon lancirt, wenn dasselbe die Bauernbündler

Rnthenen nennt. Es giebt in der ganzen Gegend nur ächt polnische Masuren, keinen einzigere Ruthenen. Als man die Bauern fragte, wieso sie zu diesem plötz­lichen Entschlüsse gekommen seien, von dem weder die Adligen noch die die Gemüther beherrschenden Geistlichen eine Ahnung hatten, so antworteten sie: ÜtuLsivstv Es sind kaiserliche Stacksten (Stafetten) gekommen. Jedes Dorf wollte sie gesehen haben. Das Wunderbarste an der Sache war, daß nicht nur keinem Juden ein