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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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Aus den niederen Volkskreisen hervorgegangen, obwohl er als Priester- feinen Geburtsadel auf Ahron zurückführeu durfte, wußte er, wie R. Akiba, den Weg zum Herzen des Volkes zu finden. Als er auf der Reise in das Karpathen­bad Soboruitz dem Rabbiner von llngvar, R. Meir Eisenftädt, dem berühmtesten Schüler des Preßburger R. Moses Sofer, einen Besuch abstattete, bat ihn dieser, der dem Chassidismus fern stand, um Aufklärung, wie so es möglich sei, ohne talmudische Gelehrsamkeit ein Rabbi zu sein. Er erhob dabei die Hände und wieder­holte drei Mal:Ich mein Doi nix (zu verletzen) efius rvaseiioienr

(behüte G.); aber ich begreife es nicht." Darauf antwortete R. Hirsch:Zum Verse in HuuÄrm: .-1 ui rmlml veoio esineimm übersetzt Targum: .4mm cllsirnbiki ornjta rvelo osiullinM, ein Volk, das die Thora empfangen hat und nicht weise geworden ist. Die Thora besteht, wie der Talmud sagt, aus 613 Gesetzen, davon 248 Gebote und 365 Verbote. Die Zahl entspricht nach derselben Quelle den 248 Knochen und Knorpeln des Körperbaues und den 365 Tagen des Jahres. Nun sagt der Talmud, daß unser Vater Abraham die ganze Thora gehalten hat bevor sie am Sinai gegeben wurde. Wieso war das möglich? Der Sohar sagt, die 613 Gesetze sind eben so viele Rathschlage, wie man dem Höchsten zu dienen habe. Indern Abraham alle Fasern seines Körpers dem Dienste des Allmächtigen zu heiligen wußte für alle Augenblicke der Zeit, so hatte er sich mit dem Wesen der Thora in Einklang gesetzt. Als seine Nachkommen in Aegypten unter dem Drucke des Golus in den Sumpf des Materialismus zu versinken drohten, erfolgte die Erlösung und die Offenbarung am Sinai, nur es ihnen zu ermöglichen, sich wieder zu der Höhe der Patriarchen zu erheben. Wenn ihnen dies im Allgemeinen nicht gelang, so trifft sie der Vorwurf Mosches, den das Targum ausdrückt, und das Studium bleibt ein Körper ohne Seele. Wer aber den Weg des Patriarchen gefunden hat, dem schließt sich der Körper der Thora von selbst an die Seele an." R. Meir fühlte sich durch den Eindruck der Rede so befriedigt, daß, als R. Hirsch in seiuer Bescheidenheit beim Abschiede ihn um seinen Segen bat, er ihm antwortete:Nein, benscht Ihr mich, Ihr seid ein Oodoir Aoänril (ein Hoherpriester)," seinen Kopf beugte und von R. Hirsch den Segen empfing. Seine Söhne waren als enragirte Gegner des Chassidismus über diese Inkonsequenz ihres Vaters unzufrieden, mußten jedoch schweigen. Es ließe sich über diesen merkwürdigen Mann, bei dem jeder Tag Neues und Merkwürdiges brachte, in seinem Verkehr mit Tausenden von allen Ecken und Enden ein dickes Buch schreiben. Wir beschränken uns auf eine Schilderung seines Lebenslaufes und seiner Wirksamkeit.

Was unsere Alten unter Gebet verstanden, das sagt der Commentator liadbenu sionu zum r4I1'a.88i (Berachot 25): Wenn Du andächtig beten willst, so streife Deinen Körper ab, sagten unsere Altvordern." Das ist leicht gesagt, aber keine Predigerphrase und, wenn ernst genommen, für den Laien ein Geheimnis;. In der Praxis der Großen geht dieser Prozeß nicht ohne außerordentliche physische und psychische Arbeit und Anstrengung vor sich. Aeußerliche Büchergelehrsamkeit und oberflächliches Wissen bringt das Eisen des Körpers ebenso wenig zum Schmelzen, wie die Kenntnis; der dazu nöthigen Temperatur, wenn weder Hochofen noch Feuer da ist.

Namentlich gilt dies für Männer aus dem Volke, die ihren ererbten Körper einer besonderen Läuterung unterziehen müssen. Wer den R. Hirsch in seiner Jugend gekannt hat, als schwärzlichen, unschönen Jüngling, der war erstaunt über sein engelgleiches Aussehen in späterer Zeit, so daß der strenge R. Israel Rozaner, der ihn das erste Mal im Alter von 66 Jahren kennen lernte, die Bemerkung aussprach: daß man seine Seele läutern kann, ist kein Wunder; aber das; man seinen Körper zu solcher Höhe bringen kann, das ist unbegreiflich.