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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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nützen kann, gedenken, das übrige vergessen soll. Dieses Werk ist eben so reich­haltig, daß. die Verarbeitung desselben meine Kräfte überspannte, bis ich es über­wältigen konnte." Auch in talmudischen Fragen setzte er zuweilen große Gelehrte außer Fassung. Als er bei der Durchreise durch Strhj den scharfsinnigen R. Ensel besuchte, der in seiner Jugend sich an der oben geschilderten Attaque gegen R. Abraham Josna Heschel beim Mondschein betheiligt hatte, später durch die Fort­schritte der Neologen jedoch seine Feindseligkeit gegen den Chaßidismus ablegte, examinirte ihn dieser durch die Frage:Warum sagt der Talmud, daß eine Mizwah, während man sie thut, errettet, nachher nur beschützt, die Thora hingegen, sowohl in der Zeit, in der man sich mit ihr beschäftigt, wie auch außerhalb derselben, errettet und beschützt?", eine Frage, aus die er selbst keine Antwort wußte, die aber eine Pointe gegen R. Hirsch enthielt, der sich ihm mit Thora weniger zu beschäftigen schien als mit Mizwoth. Darauf antwortete R. Ensel:Die gewöhnliche Ueber- sctzung jener Talmndstelle beruht aus Jrrthum. Die Zeit bezieht sich nicht ans die Person, sondern ans das Objekt. Wenn Jemand am Pesach den Lulab und an Snkkvth die Mazzot benutzt, so hat er damit nichts gethan; wenn er aber am Pesach die Gesetze über die Snkkvth oder am Sukkoth die über Pesach lernt, so lernt er Thora, die an keine Gesetze gebunden ist, und diese übt dann ihre volle Wirk­samkeit, während die Mizwah dieselbe nur in der für sie vorgeschriebenen Zeit hat; doch erstreckt sich ihr Schutz, wenn sie rechtzeitig vollbracht wurde, auch auf später." Man sieht, daß ihn am rechten Orte und zur rechten Zeit auch der populistische Scharfsinn nicht im Stiche ließ

Und nun erst gar bei Beherrschung des Schriftwortcs. Ta traf man auf augenblickliche Eingebungen, die eines Tana würdig gewesen wären. So fragte ihn, nach Art der Intimität jener Zeit, einer seiner Lente:Der Pajtan scheint ein Amhoorez gewesen zu sein. Man schreit als ob nur

Jom Kippur so benannt wird, während in der Thora jeder Sabbath diese Doppel­benennung genießt." Daraus antwortete er:Beim gewöhnlichen Sabbath steht diese Benennung viermal (II, 16, 23; II, 31, 16; II, 35, 2; III, 23, 3), und da steht jedesmal daneben oder in nächster Nähe (zum Ewigen"); bei Jom Kippur hingegen steht es dreimal (III, 16, 31; III, 23, 24; III, 23, 24) und steht jedesmal 22^ (zu Euch") daneben. Der Unterschied zwischen Sabbath und Jom Kippur ist nämlich der, daß der Sabbath von uns nach oben anssteigt (ein Lehrsatz des s^ri), während der Jom Kippur von oben zu uns herabsteigt. Deshalb befällt das Volk bei Kolnidre eine solche Erregung."

Mit bewundernswerther Leichtigkeit entkleidete er auch homiletisch schwierige Stellen ihres Eindruckes; so z. B. in der ersten Raschi zu Bereschit uns. t-nnrn pmtmcll bidrosellit,Wie süß ist der "llaniw (Geschmack) des Anfanges mit Bere­schit!" Er unterschrieb seine Briese mit dem Beisatze 2N1X (Jndenfreund")

und auch seine Grabschrift lautet: ON2? MPQ ^>22 ^22" ^2> 22N1X1 VN'28 (Vater und Freund der Juden an allen Orten wo sie sind.") Ebenso unterschrieb sich übrigens auch R. Abraham Josna Heschel, welcher zugleich befahl, diesen einzigen Titel seiner Grabschrift einzufügen. Man könnte darin etwas überflüssiges, selbswerständliches finden. Dem ist aber nicht so, und es gehört mehr dazu, als man glaubt, um diesen Titel wirklich zu verdienen. Es hat zu allen Zeiten große Männer gegeben, deren Strenge mit der Liebe zum Volke kollidirte. Schon im Alterthum finden wir eine Kluft zwischen Gelehrten und Volk (Amhaarez). Der Talmud sagt: Der Haß des Pöbels gegen die Gelehrten ist stärker als der der Nichtjuden gegen die Juden, und noch ausgeprägter bei den Frauen der niederen Klassen. Sv gesteht R. Akiba: Als ich noch Amhaarez war, pflegte ich zu sagen: