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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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trotz des Festes die Stadt bereits verlassen und ward nicht mehr gesehen. Von dem Zornausbruche erschöpft, setzte sich R. Hirsch wieder zu Tisch und sagte:Das ist Einer, den selbst unser Vater Abraham nicht geduldet haben würde. R. Elimelech hat die Welt durchwandert, um Alle zur Buße zu bewegen. Da erschien ihm unser Vater Abraham und sagte ihm: Du glaubst nach Deinem Gutdünken Jeden zum Baal tschuwe (Büßer) machen zu dürfen. Du wirst nur denjenigen aufnehmen, den ich einwilligen werde."

Seine Bescheidenheit entsprach seiner Größe. Als R. Israel Rozaner aus dem russischen Gefängnisse entkommen war (worüber später), wollte er dengroßen R. Hirsch" wie er ihn nannte, kennen lernen. Er sagte, daß er im Gefängnisse von allen Gebeten, die für ihn abgehalteu, nur das Thillim des R. Hirsch und die Thränen seiner eigenen Mutter gespürt habe. Trotz seines hohen Alters und der Selbstverleugnung, die einer Unterordnung gleichkam, die in dem Besuche lag, entschloß er sich, die weite Reise nach Sadagora anzutreten. Ungezählte Tausende von Menschen strömten ihm überall entgegen. Das Zusammentreffen der beiden be­deutendsten Männer des Jndenthums ihrer Zeit war eben so herzlich als imposant. Es wurde die Verlobung der damals zwei Jahre alten Tochter des R. Hirsch mit dem ebenso alten Enkel des R. Israel beschlossen.

Bei Verlobungen seiner Kinder pflegte R. Israel seine Ahnen anfzuzählen, was auch diesmal geschah, und er forderte R. Hirsch auf, auch seinen Adel aus­zurechnen. Darauf antwortete dieser in seiner Schlichtheit und Güte:Ich war ein Schneiderjüngel und habe mich immer bestrebt, neues Zeug nicht zu verderben und altes auszubessern." N. Israel küßte ihn auf die Stirne.

Als den Letzteren der polnische Rabbiner Meier Jechiel Schapira von Mogelnitza, Enkel des Koziniecer Magid, besuchte, rieth er ihm, wenn er den richtigen Engel sehen wolle, nach Rymanow zu fahren, was dieser auch befolgte.

Die physische Veredlung, welche er an R. Hirsch bewunderte, wußte dieser aber auch auf seine Leute zu übertragen. Es leben heute noch manche von diesen als Greise, mit wahrhaft leuchtendem Antlitz, physisch, geistig und moralisch ohne das leiseste Gebrechen, die den Ethnologen über gewisse Vorurtheile belehren könnten, die in Betreff der Eigenthümlichkeiten der jüdischen Rasse fast schon zu Dogmen ge­worden sind. Man braucht übrigens nur das Priestergesetz in Traktat Bechoroth und bei Maimonides nachzulesen, um zu finden, mit welch' peinlicher Genauigkeit in Betreff des Ebenmaßes der Gliedmaßen bei der Assentirung zum Priesterdienste, wo es über 100 000 Priester gab, vorgegangen wurde, unter denen sich keiner befinden durfte, dessen Nase z. B. länger war, als sein kleiner Finger. Ebenso ist der jüdische Brustkasten und der hohe Rücken höchstens ein Produkt des Ghcttokerkers. Man hat heutzutage keine richtige Vorstellung mehr von den Verhältnissen, die noch vor 1848 herrschten. Das Pfund Fleisch kostete acht polnische Groschen (10 Pf.); aber nur wenige konnten an Wochentagen zum Genüsse desselben kommen. Während der Theuerung im Jahre 1847 gab es Gelehrte, welche aus den Kartoffelschalen der Glücklicheren sich eine Suppe kochten. Die wenigen Wohlhabenden waren nicht im Stande, hinreichende Hilfe zu leisten. Unter ähnlichen Verhältnissen wußte man erst die Weisheit zu schätzen, mit welcher R. Hirsch sich zum Großalmosenier des Landes zu machen gewußt hatte. Ohne Polizeigewalt, die der Talmud der Armenversorgung zuspricht:Man darf zu wohlthätigen Gaben im Exekutionswege zwingen", brach er den sprichwörtlich gewordenen Geiz der Reichen und gewöhnte dieselben an außerordentlich scheinende Gaben, Vorboten des kommenden Aufschwunges in den Geldverhältnissen. So konnte er allwöchentlich Hunderte Gulden, damals fabelhafte Summen, zur Erhaltung armer Gelehrten, Wittwen und Waisen und sonstiger Hilfsbedürftigen vertheilen, abgesehen davon, daß Hunderte an seinem