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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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Gutachten seines hohen Klerus darüber ein und ließ eines Tages sämmtliche Renegaten seines Reiches zusammenberufcn, die auf die Insignien ihres neuen Glaubens die Lügenhaftigkeit dieser Anklage beschworen. So ist wie unter den alten polnischen Königen auch in Rußland durch Machtwort des Herrschers der Jesuiten­praxis das Handwerk gelegt worden, und es erwies sich, daß ein ehrlicher Despo­tismus einem falschen Konstitutionalismus vorzuziehen ist. Trotz aller Verfolgungen bewahrten die Juden, welche Mißhandlungen schnell, Gutes aber niemals vergessen, diesem Gewaltherrscher loyale Treue. Die gewaltsamen Wegnahmen der kleinen Kinder waren jedoch eine selbst im Mittelalter als zu grausam befundene Maßregel. Als R. Isaak Warker, Schüler des R. Bunem Przysucher, der über einen sehr bedeutenden Anhang in Polen verfügte, zu R. Israel nach Sadagöra zog und ihm das Düstere der Lage nochmals recht eindringlich zu Herzen führte, trug ihm R. Israel auf, einen Mann in Krakau auszusuchen, um ihn zu Sir Moses Monte- siore zu senden, damit derselbe die Intervention der englischen Regierung bei Kaiser Nikolaus zu Gunsten der Juden veranlasse. Er wählte einen gewissen Israel -stRieue useld, der später im Jahre 1849 während des ungarischen Krieges getödtet ' wurde, und so gelang es dem Freunde Disraelrs und Lord Palmerston's, R. Moses Montefiore, der Zierde des Judenthums, von der englischen Regierung mit einer Mission für die Juden nach Petersburg betraut zu werden.' Das meint Disraeli, wenn er es in seinen Schriften bewundert, mit welcher Geschicklichkeit die Juden in ihrer drückenden Lage es verstanden haben, sich in die hohe Politik Eingang zu verschaffen. Das Scheitern der Mission und die Schilderungen der ru88Mw Ätwooitl68, die Sir Moses heimbrachte, haben dann in letzter Linie zum Krimkriege das ihrige beigetragen. Kaiser Nikolaus starb am Purim 1856, nachdem er den von ihm verfolgten R. Israel um 4 Jahre überlebt hatte.

Die Weisheit dieses Mannes in Führung der Massen war eine unüber­troffene Sparsamkeit mit seinen Aeußerungen, konnte er in einem einzigen Satz in eine kurze Erzählung ganze Systeme lanciren, wie über solche die späteren Chabad lange Abhandlungen schrieben, ohne durch Scharfsinn und Breite den Weg zum Herzen so zu finden, wie. jene Aphorismen. Sein Hauptstreben war darauf gerichtet, die äußere Würde des Judenthums und der Kultur, die durch die Schlacken des Golus, durch den Kampf, durch übermäßiges Philosophien und einseitige Mystik gelitten hatte, in ihrein ursprünglichen Glanze wiederherzustellen. Mit Recht bezeichnte er den Kotzker als seinen Widerpart, denn es gab keine strikteren Gegensätze, und Parallelismen. Dort der ausgesprochenste, weltverachtendc Stoizismus, der sich im Fasse des Diogenes am wohligsten fühlt, ein ausgesprochener Kult des Häßlichen, Wilden, Abstoßenden, Ungezogenen, Disziplinlosen, hier die feinste Aesthetik in der Wahl der Kleidung, der Haartracht, des Ganges, der Geberde, der Wohnung, jedes einzelnen Geräthes, dabei von frühester Kindheit äußerste Abstinenz ini Genießen, die zu einer erstaunlichen Beschränkung des Nahrnngsqnantums geführt hat. Ererbt durch Generationen und auf seine Kinder vererbt, hat er diese Art Askese an Stelle der früher üblichen Abwechslung strengen Fastens und starken Essens gesetzt, wobei er oftmals das Bedauern darüber aussprach, daß die alte Askctik abgeschafft worden sei. Als er in seiner Jugend einst sehr lange bei I<iciäu8oii ievouoll dem Segens­wunsch über den Vollmond, im strengsten Frost gestanden, stellte es sich heraus, daß aus seinen eleganten Stiefelchen die Sohlen ausgeschnitten waren, so daß Blutspuren seine Schritte bezeichneten als er seine Füße vom Eise losgerissen hatte. Das vertrat die Stelle des OiiAnl LelleloA (Schneebades) und des Tauchbades im aufgehackten Eise, öas bei seinen Vorgängern üblich war. Das Volk sollte davon weder etwas merken, noch im Nachäsfungstriebe sich an asketischen Hebungen betheiligcn. So sagteer: Er giebt junge Leute, die nie mit sich fertig werden, nie gemeinschaftlich