Druckschrift 
Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
Entstehung
Seite
335
Einzelbild herunterladen

336

mit dem Diiinir (der Gemeinde) das Gebet verrichten, sondern sich erst durch verschiedenste Anspannung des Geistes und Gemüthes Erbauung zu schaffen trachten. Ich rathe meinen Leuten von diesen Sonderbestrebungen ab und warne sie, nicht über ihren Horizont hinauf zu wollen, damit sie nicht abstürzen, wie es dann bei Jenen der Fall ist, auf die das Sprichwort anwendbar ist, einmal ein ülnineti (Engel), einmal ein 69 I 90 I 1 (Pfaffe).

Auf der Gegenseite sind diese Art Schwankungen derart eingebürgert, als wären sie etwas Selbstverständliches, so daß dos Beten mit Minjan namentlich in der früheren Vergangenheit als etwas Kleinliches, Spießbürgerliches betrachtet wurde. Ein Nachklang der längst verschollenen Lnmot (Höhen), wo Jeder sich nach Herzenslust seinen Altar errichtete und Hohenpriester spielte. Die natürliche Folge war die Vernachlässigung der gemeinschaftlichen Funktionen, des Begriffes derSynagoge", der einzig und allein das Judenthum das Exil hat überdauern lassen und in seiner Einfachheit alle kunstvollen Organisationen in den Schatten gestellt hat. Diese Gemeinschaft herzustellen, war der göttliche Hauptzweck der Stiftshütte und des Salomonischen Tempels als Zentralpunkt für das geeinigte Israel, wie R. Israel einmal gesprächsweise bemerkte. Durch jene Himmelsstürmer aber, die von dem Lichtscheine der großen Lehrer und Seher der zweiten Epoche, von der Süßigkeit des Lichtes (Kohelet 11, 7) ungezogen, sich wie die Motten in die Flamme stürzten, war ein Chaos geschaffen worden, wo jeder in seinem ^ii9 eininc-Ir (ich bin König"), seinen Feldherrnstab als Führer der Massen in der Tasche zu tragen glaubte. So war selbst an Stelle der alles beherrschenden Erinnerung an Palästina und Jerusalem bei jener Burschenschaft eine Art iibi bene ibi xairin getreten, unter dem Deckmantel des religiösen Gedankens, der alle Aeußerlichkeiten ersetzt, die ganze Thora neu aus sich selbst aufbaut und den seelischen Zusammenhang mit dem Wortlaute der heiligen Schrift und der jüdischen Geschichte, ohne sich selbst Rechenschaft darüber oblegen zu können, in bedenklichster Weise verblassen läßt. R. Israels ganzes Sinnen und Trachten hingegen war auf Palästina gerichtet. In Jerusalem ließ er mit großem Kostenaufwande den Prachtbau der großen Synagoge i<n6886l Israel aufführcn, den erst sein Nachfolger vollenden konnte. Ebenso förderte er aus allen Kräften die Ansiedlung der Juden im heiligen Lande, unterstützt von seinen Kollegen in Rußland und Galizien, wo z. B. R. Mcir Przcmyszlancr, trotzdem er sein Haus und seine Kinder in größter Dürftigkeit darben ließ, jährlich 702 Dukaten (Zahlwerth für Palästina auftrieb, und ebenso R. Hirsch Rymanowcr. Aber auch im Exil legte er großen Werth aus die äußere Pracht der Gotteshäuser, die, seitdem die Gelehrten und später die Chaßidim die alten Monumentalbauten der Synagogen vor den niederen Klassen geräumt hatten, arg vernachlässigt worden war. In Warschau, das unter dem letzten Sigismund, den die Jesuiten umgarnt hatten, zur Residenz gewählt worden, war der Bau einer Synagoge überhaupt nicht gestattet, so daß, wie ich glaube, noch heute keine existiert. Man beschränkte sich daher seit 200 Jahren auf Lehrhäuser lilatll Inimiciraseii) und Betstuben, deren Einfachheit ihrer Schönheit keinen Abbruch that. DieStübel" hingegen sind in ihrer stoischen Verwahrlosung wahre Diogenesfüsser, und dementsprechend auch die ostentative Vernachlässigung der alten Riten, der herrlichen Liturgie mit ihren uralten herz­erhebenden Melodien, der Pijutim, in denen die tiefe Poesie des heroischen Märtyrer­thums der Rheingaue mit ihren uralten Judenkolonien vom reinsten und ältesten Geburts- und Geistesadel so machtvoll ans tiefstem Herzen zum Herzen spricht. Hatte das Spießbürgerthum durch seine Indolenz und Unwissenheit, der Lamdan durch seinen Mangel an Gefühl, das Gebet zum M/ml ii9.89.r8ii- (Staarengeplapper), wie es der Undeci in Uiieiiol teliiin kritisiert, herabsinken lassen, so hatte der ältere Chaßidismus mit seinem Feuer die Schlacken gereinigt; mit dem plötzlichen