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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
Entstehung
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R. Mordchai Kremenitzer, einen der 6 Söhne des berühmten R. Michel Mai (Zloczow) adoptirt. lieber seine (R. Meir's) Sehergabe werden zahllose Fälle merk­würdigster Art von Männern der verschiedensten Klassen bezeugt, darunter die skeptischsten und nüchternsten Kanfleute, und das stark materialistisch veranlagte und zur Irreligiosität neigende Publikum jener Gegenden wurde nur durch diese ge­waltigen Eindrücke in Schranken gehalten. Man erstaunt darüber, Selbsterlebtes aus dem Munde von Personen zu hören, die sonst dem sogenannten Fortschritt angehöre». Auch manche Chaßidim fürchteten ihn, denn er liebte es, ihnen Wahrheiten zu sagen, von denen sie nicht immer erbaut waren. Namentlich beim Ausruf zur Thora durfte man auf Fakta gefaßt sein, die man längst vergessen glaubte. Zur Schonung kamen dieselben meist in eigenthümlich humoristischer Verhüllung. Auf subalterne Rabbiner hatte er es besonders abgesehen. Ein solcher hatte beim Ansrnf zur Thora die Estujiiu (Holzgriffe) mit in den Tallis eingewickelten Händen ungefaßt. Als nach ihm ein Harendar aufgerufen wurde, glaubte dieser in seiner Schüchternheit ebenfalls die Hände einwickeln zu müssen. Du Thor, sagte er ihm, bei einem Raw kann sich treffen, daß er mal Lostoolwck (Bestechung) nimmt, da muß er sich die Hände ein­wickeln. Du giebst 2äollod mit deinen Händen, darfst daher die Thora dreist an­fassen. Als R. Josef Halevi Epstein, Sohn des ^Inor wusestamseed, bei ihm in Begleitung seines Famulus, eines Priesters, erschien, sagte er, das ist ein echter Levi, aber den Kohen müssen wir erst mal durchsehen. So (Mt er es mit allen Kohanim. In der That ließ er ihn nicht zu und rief einen anderen Kohen auf. (Dasselbe ist übrigens vom Wilnaer Gaon verbürgt. Ein schlichter, frommer Bürger in K.. Chone Benkele, nicht zu den Chaßidim gehörig, war in seiner Jugend bei einem reichen Kaufmann bedienstet, den er auf seinen Reisen in Rußland begleitete. Derselbe besuchte in Wilna den Gaon, der Diener hielt sich respektvoll hinter ihm. Aber der Gaon rief ihn zu, reichte ihm die Hand znm Schalem und sagte, er hat den Vorrang, denn er ist ein Kohen.)

Bemerkenswerth ist die Hartnäckigkeit des jüdischen Volkes allen supra- naturalistischen Thatsachen gegenüber, den kleinsten wie den größten. Wenn schon dem Geschlecht der Wüste (IV, 14, 11) der Borwurf gemacht wird,trotz aller Wunder, die Ich in seiner Mitte vollbracht", so hat bereits Mosche (II, 34, 9) den Vorwurf beinahe als Lob verwendet. Es ist die Härte des Diamanten, die allen Prüfungen Stand hält und sich durch keinerlei Impression beeinflussen läßt, daher auch allen Einflüssen der Völker mit unvergleichlicher Tenacität Stand gehalten hat.

R. Meir, dessen Gebet an Hoheit und machtvollem Eindruck den Größten feiner Zeit nicht uachstand, beklagt in einem Schreiben an die Brodyer Gemeinde den Niedergang der Begriffsthätigkeit im Allgemeinen, die ihren wirklichen

Platz nur mehr noch im Gebete 'finde. Er sagte, daß er sich nie früher zum Gebete stelle, als bis er sich darüber klar geworden sei, daß er relativ niedriger stehe, als der größte Sünder, dem seine Verantwortlichkeit und die Hoheit des Schöpfers nicht znm Bewußtsein dringt. Bei dieser wahrhaften, unerkünstelten Nichtigkeit unterließ er nicht, seinen Zeitgenossen, auch den Großen, feme Beobachtungen über dieselben, meist in rüthselhafter, nur für selbe verständlicher Form mitzutheilen.

R. Israel Friedmann bezeugte er die größte Verehrung als dem, den höchsten Rang einnehmenden Zeitgenossen. R. Hirsch Rymanower nannte er den Abraham des Zeitalters", und als er starb, sagte er:Mit ihm sind die Thore der echten Wohlthätigkeit verschlossen worden." Als dieser an einein Schabnotfeste bei Niu I1um6/wr im Hallel ganz außerordentliche Anstrengungen zu überwinden hatte, sagte er: Heute hat R. Hirsch den lillaii vollendet.

Es war in einem Städtchen seiner Umgebung ei» Xvoummi (Vertrauens­mann) in einer Propination angestellt, der jeden Tag trotz seiner Beschäftigung nicht