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kamen. Der Segen der Thora: „Es werden alle Haares (Völker der Erde) sehen, daß der Name des Ewigen auf Dir ruht" (V, 23, 10) ist bei ihm wörtlich in Erfüllung gegangen, namentlich was unsere eigenen Amehaarez betrifft, aber buchstäblich, so deutlich, als ob man den Hohenpriester mit dem goldenen Stirnblcch vor sich gesehen hätte.
Nun ist das Schlimme bei diesen impressionistischen Empfindungen des Augenblickes, daß sie wie der Blitz eiuschlageu, aber eben so schnell verschwinden, ohne daß die Phantasie im Stande ist, sie zu rekonstruiren oder selbst im Gedüchmiß mehr als eine stenographische Gehirnspur festzuhalten. Will man sie rekonstruiren, so geht es wie bei einem Bilde von Künstlerhand; die Nachahmung bringt nur Kleckse, höchstens ein Zerrbild hervor. Dann tritt die Dekadenz wieder in ihre Rechte und kritisirt sich selbst, ob man nicht mit allen andern einem gewollten Gefühlsdnsel erlegen sei. Es ist ein fremdes erborgtes Licht, das in der trüben Atmosphäre des gemeinen Mannes bald erlischt. Ich hatte jedoch Gelegenheit, die Beobachtung bei ganz zweifellosen Objekten anzustellen. Da war ein russischer Soldat, Namens Abramowicz, Sohn eines Schwärzers an der preußischen Grenze, dessen' gemeiner Charakter ihm den Namen Srul Parch eingetragen hatte. Der Sohn war ein noch roherer und unwissenderer Analphabet als der Vater. Von Religiosität hatte er natürlich keine Spur. Derselbe kannte mich aus deni Geschäfte, in welchem er bedienstet war, und erzählte mir mal seine Erlebnisse, wie er in der Nacht vor dem Sturm aus Kalafat, den sicheren Tod vor Augen, mit drei anderen Soldaten desertirte und nach manchen Fährnissen über die rumänische Grenze nach Sadagora kam. Ich weiß nicht, was mir geschah, sagte er; aber als der Mann mich anredcte, mußte ich so weinen, wie es mir seit meiner Kindheit nicht mehr passirt ist. Nun konnte von einein verborgenen, religiösen Funken, der für eine Autosuggestion ausreichte, kaum, aber dennoch die Rede sein. Wie erstaunte ich aber, als ich ein Feuilleton der „N. F. Pr." über diesen Rabbiner las, das zwar, wie alle derartige pjendosemitischen Ergüsse, recht widerwärtig war, aber dennoch den Satz enthielt: „Ich tonnte ein gewisses Gefühl der Rührung nicht verbergen." Wenn man das Gemüth eines solchen Federfuchsers rühren kann, dann kann man Todte wieder erwecken.
R. Abraham Jakob war aber auch ein sehr bedeutender Gelehrter, obwohl er kein Aufhebens davon machte. Das bezeugte der berühmte Gedächtnißmensch R. Rafael Natan Rabinowitz, Bibliothekar zu München, der ein Gespräch mit ihm hatte. Und der heute 95 jährige Rabbiner von Sereth, R. Pinchas Burstin, sonst ein hartgesottener Misnaged, bezeugte, daß er sich selbst davon überzeugt habe, daß er die Responsen des R. Samuel di Modena (Raselläam), ein voluminöses und seltenes Hilfswerk der Dezisorenlitteratnr, auswendig gekannt habe.
Was die Kabbala anbelangt, so hat er in Gemeinschaft mit seinem ältesten Bruder bald nach dem Ableben des Vaters ein wahrhaft Epoche machendes Programm, eine Proklamation veröffentlicht in der Vorrede zu dem von beiden aus dem Nachlasse des Vaters dem Drucke übergebenen Manuskripte des 0lls886ä l'ndrnimnr ihres Urgroßvaters, das in Kürze bereits besprochen wurde. „Der Geist dieses heiligen Buches, heißt es dort, ist unser Erbteil von unseren Eltern." Geräuschlos, wie das NQV'l bei Elia, das den Sturm, das Erdbeben, die feurigen vulkanischen Ausbrüche zum Schweigen brachte, hebt er die seit zwei Jahrtausenden in eiqenthümlichen Formen eingebürgerten kabbalistischen Systeme mit ihren eben so eigenthümlichen Nomenclatnren ans den Angeln, um, an die vor seinem geistigen Auge offen daliegende Begriffssphäre der uralten Prophetenschulen anknüpfend, die eigentliche Schlachtordnung Israels in den, durch unzerstörbare Tradition von Mosche bis Maimvnidcs von Letzteren! systematisirten 13 Glaubensartikeln unversehrt zu erhalten