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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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Zaddikim besonderes Unesiinim. In der That starben in demselben Jahre drei der bedeutendsten: R. Isaak Meir, R. Salomo Rabinowitz und R. Mendel Lubawiczer. Nun kann eine derartige Zahlenimprovisation, die mit dem Datum zusammen- sällt, ebenso wie ihre Auslegung, nur im Wege des Hellsehens überkommen.

R. Mendel Lubawiczer, der vFromni Lvvrost surchterregende Ebräer, wie ihn der russische Gouverneur seines Kreises nannte, war wiederum eine jener Kostbarkeiten, wie sie nur die Schatzkammer eines so reichen Königs, wie Israels, aufweist. Er war ein Tochtersohn des großenRaw", R. Senior Salman von Lodi, und bestieg dessen Katheder nach dem Ableben dessen überaus scharfsinnigen, tiefden­kenden Sohnes R. Ber. Mindestens IM 000 tüchtig geschulte, gelehrte und philo­sophisch ansgebildete Anhänger fanden bei ihm Befriedigung ihrer hochgeschraubten geistigen Anforderungen. Mehr als 8000 Schriftbvgen mit Halacha und Chabad hat dieser unermüdliche, rastlose Geist hinterlassen.

Welche Schilderung kann man von einem Manne entwerfen, dessen Leben bis ins höchste Alter nichts andres war als Lehrthätigkeit und Gottesdienst. Sein System, das nur in dem Ausbau und der Erklärung der Lehren und Schriften seines Großvaters bestand, muß man studiren, um es verstehen und würdigen zu lernen. Ohne Extravaganzen, ohne Supranaturalismus, ein Mann des Friedens, der Sanftmuth, der Demuth, Milde und vollendeten Weisheit, bereit, sein Leben für die Erhaltung der Religion seiner Väter zu opfern! Als die russische Regierung aus Anstiften der Reformer und Assimilatoren eine Enqußtekommission nach Petersburg einberief, die aus Delegirten der Alt-Rabbinen, der Chaßidim und Neologen bestand, nahm er sich Todtenkleider mit, in der Voraussicht, daß er seinen Widerstand gegen die Beschränkung der Religionsfreiheit mit dem Märtyrertode büßen könnte. Es lief aber glimpflich ab, trotzdem er in seinem Eifer keinerlei Konzessionen machte. Er bedauerte nur, daß ihm der Vertreter der Neologen dabei mit mehr Charakter­festigkeit zu Hilfe gekommen war, als der der Stockorthodoxen.

Er segnete das Zeitliche am 28. Adar 1866. Seine Söhne und Enkel setzten feine Lehrthätigkeit bis auf den heutigen Tag fort. Doch kann nicht bestritten werden, daß die Einseitigkeit eines Systems der Veralterung verfallen muß, wie sie der Talmud Sota voranssagt: Olloellinut Zoksriiw tisrucll. Die Schriftgelehr­samkeit muß in Stagnation gerathen. Chabad ist ein zur Disponibilität gestellter Chassidismus, der von dem aktiven abzweigend, der Antiquität verfällt. R. Israel Balschemtow schuf einen ganz neuen Jdecnkreis, der in seinem Schüler R. Dowber erst ins Bewußtsein trat und zu einer Anzahl philosophischer Systeme führte, die in merkwürdigem Parallelismus zu der arischen, neu entstandenen Philosophie sich entwickelten. Chabad war eines dieser Systeme; aber während seine Antipoden, Fichte, Hegel, Schelling, in Nichts versanken, mit Hartmann sich die Philosophie in blauen Dunst auslöste und heute einer vergessenen alten Buhlerin gleicht, bewegte sich dieses parallele System, dem freilich wahre Lebensfähigkeit nicht abgesprochen werden kann, in alten Geleisen, unbekümmert darum, ob der Nachwuchs der Generationen, vom Hauche der russischen Pseudokultur beleckt, damit^Schritt halten könne. Im Centrum des Chaßidismus hingegen hat R. Abraham Fastower eine von der seines Vaters grundverschiedene Aktion eingeleitet. Und während draußen die kosmopolitische philosophische Bildung der praktischen technischen im Dienst des neuen Nationalitäteuprinzips Platz machte, hat sein Sohn R. Scholem und sein Enkel R. Israel, das religiös-nationale Element im Judenthum mit der Philosophie vertauscht und seinen Söhnen die Organisation der Massen in dieser Richtung als Erbe hinterlassen.