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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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R. Salomon Hakohe n Rabinowitz (18011866.)

Der Talmud erzählt: R. Elieser und R. Josua saßen Nachts zur See an Bord eines Schiffes. R. Elieser war eingenickt. Da fuhr R. Josua zusammen, sodaß R. Elieser auskam. Was ist Dir Josua? fragte er. Ich habe ein großes Leuchten im Meere gesehen, was bedeutet das? R. Elieser: Vielleicht hast Du die Augen des Leviatan gesehn, von denen es heißt:Seine

Augen gleichen den Wimpern der Morgenröthe."

R. Mose Chaim Luzzato im ^.äir bamorom bringt eine kabbalistische Ophtalmologie über den Ban des Auges durch die Seele, welche die höchste Leistung des Zukunftsproblemes der Vereinigung aller Zweige der Wissenschaft im theosophi- schen Zentrum bietet. Dort heißt es, daß vor der Materialisation des Menschen seine Augen zwei Seelenleuchten von ganz ungewöhnlicher Größe waren. Das habe ich wiederholt bei diesem Manne in der Wirklichkeit gesehen. Man erzählt dasselbe von R. Scholem Rokeach. Der unvergeßliche Eindruck spottet der Feder, des Pinsels des Künstlers, selbst der empfindlichsten photographischen Platte. Ein Volksbaum, der solche Früchte im höchsten Alter hervorbringen kann, ist unsterblich. Er entstammte einer angesehenen Rabbinerfamilie, die aus R. Natan Spira ^.inukot,

st. 1639), zurückging, unter denen sich namentlich sein Urgroßvater, dessen Namen er führte, R. Salomo, Rabbiner zu Pinczow, hervorthat, an welchen sich R. Jonathan Eibuschitz um Schutz gegen seine Verfolger wandte. Scho» als fünfjähriger Knabe zog er das Auge des R. David Lelower aus sich, der ihn aus der Mitte der Kinder zu sich rief, ihm ein Zuckerchen gab und ihm ins Ohr raunte:Deinem Urgroßvater hat nichts gefehlt, außer (dem chaßidischen Gebrauche) der iUistwnst: das sollst Du nachholen." In seinem neunten Jahre nahm ihn sein Vater, wie bereits erwähnt, zumJüd" mit, den er mit ungewöhnlicher Reife zu beobachten wußte. Er war als Oiwrik der Liebling des großen Piotrkower Rabbiners R. Abraham (Luit ^brnlwm), seines Talmudlehrers, kannte im Alter von 18 Jahren den ganzen Lestloll auswendig und ward der Liebling des R. Meir Apter, des Nachfolgers des Lubliner Sehers, von welchem er die Sennchah empfing. Er war der letzte Vertreter dieser Lubliner Schule in Congreßpolen. Als junger Mann war er zuerst bei R. Bunem in Przysucha gewesen,' der von ihm sagte, er besäße die Weisheit Salomos. Seinen Augen gefiel die Richtung nicht- er ließ sich nicht fesseln und ging zu R. Meir, den er nicht mehr verließ. Die Anziehungskraft, welche dieser unbe­schreibliche Mann trotz seines zurückhaltenden, äußerlich strengen und unnahbaren Wesens ausübte, war so groß, daß ich während der Unruhen, ohne genügenden Paß, die natürliche Furchtsamkeit überwindend, der Gefahr, erschossen zu werden oder zu ertrinken trotzte, um mich zu ihm ans Schleichwegen durchzuschlagen. Ohne daß man ihm ein Wort zu sagen brauchte oder wagte, durchschaute sein Seheraugc das Innerste des Menschen wie das Wasser in einem Glase. Er erkannte sogar die ihm fremde Lektüre, mit der man sich beschäftigte, nnd die Eindrücke, welche dieselbe hervorbrachte. So z. B. das XuiM'68 sindwpnnlM, eine damals neu erschienene ungemein scharfe Kritik der Gefühlsemotioncn, die einen deprimirenden Einfluß hervorznbriugen geeignet war. In Worten, die nur der Betreffende verstand, bezeichnte er sofort den Kern der Sache, die ein Objekt längeren Studiums bei dem Betreffenden in weit entlegener Ferne gewesen war. Er beschäftigte sich als selbst­ständiger Kabbalist ersten Ranges mit der Chabadliteratur ganz und gar nicht. Als ihn einst ein junger Chabad besuchte und sich in seiner vielgesprächigen Art mit ihm in ein philosophisches Gespräch einließ, sah dieser ein, daß seine Schulweisheit nicht an den Saum seines Kleides reiche, so daß er sich auf die Frage beschränkte, ob er inwUwwnsi, aus Liebe, oder ini.sirnsi, aus Furcht, dienen sollte. Zuerst, war die