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in sich alle Tugenden des Stoikers mit einer grenzenlosen Liebe zu dem mindesten Individuum des Volkes. Sein Gottesdienst war ebenso hinreißend lieblich, als surchtbar erhaben. Durch jahrelange Askese, wie der Koziniecer Maggid, zu einem bloßen Knochensack eingeschrnmpft, wie dieser fortwährend durch Schwäche an das Bett gefesselt, entfaltete er beim Gebete eine übermenschliche Kraft. In seinem Todesjahr 1858 ließ er sich am letzten Versöhmmgstage ins Bethamidrasch tragen, um, wie er sagte, noch ein letztes Mal die (die Schilderung des Hohe-
priesterdienstes) vvrzntragen. Schon bei Hu88Niin6 tollet lag er plötzlich mit dem Kopfe auf den Schultern der Umstehenden, mit den Füßen auf dem Zurück (Betpulte), Gesicht und Hals bei siiMnIaellim („und die Engel zittern") kohlschwarz
vor Furcht; dabei packten seine nadeldünnen Finger einen meiner neben ihm stehenden Jugendfreunde mit Riesenkraft, als wollte er ihn mit sich hinaufheben. Geld und- Ehrenbezeugung waren ihm in tiefster Seele verhaßt. Sein Sabbathtallis war von einem Sabbath zum andern versetzt, indem er darauf Brot für die Armen entlieh, obwohl seine eigenen Kinder Hunger litten und barfuß gingen. Er wollte keine Geschenke annehmen, obwohl er Reichthümer hätte sammeln können und man ihn mit Bitten um Annahme solcher bestürmte. Er nahm nur in seltenen Fällen soviel, als zur Aushaltung zahlreicher Armen, Wittwen und Waisen oder erwerbsloser Gelehrten über Tags unumgänglich uöthig war. Alls hundert Meilen im Umkreise strömte das Volk ihm zu, obwohl er, wie R. Meir, mit den schlimmsten Enthüllungen nicht kargte. Eine der gelindesten in zartester Form, soll hier Platz finden, weil sie für die Art des Mannes bezeichnend ist. Ein reicher Arendar aus der ungarischen Gegend kam mit einem Anliegen. Der Mann war nicht unwissend. Ich bitte Dich, sagte er zu ihm, wie erklärst Du Dir das ^8<üwai 8ei>itelru ellnrutüll, das Sühnopfer für einen Fehltritt mit einer Magd, das ohne jede andere Strafe ein zwei Thaler kostendes Lamm war. Ein reicher Mann wie Du würde sich durch eine derartige Geldstrafe in seinen perversen Anlagen nicht stören lassen. Die Sache war aber bei Weitem nicht so einfach. Wenn so ein Dorfsmann nach Jerusalem kam, um Buße zu thun, so mußte er sich zuerst beim Synedrion melden. Wenn ihn nach wiederholten Vorfragen einer der diensthabenden Wächter vor diese Versammlung ehrfurchtgebietender Greise führte, kam ihm das Geständniß schwerer über die Lippen als der Tod. Dann verwies man ihn an den Hohenpriester; neue Seelenqualen wegen einer momentanen Aufwallung niedriger, thierischcr Leidenschaft. Tann bekam er den Auftrag, bei dem diensthabenden Priester die 2 Thaler für das Billet an die Opferverwaltung zu erlegen. Mit diesem ging er an die Abtheiluug der ^.8ellnm- 8cllUosiL-ellni'r>1g.-Opfer. Wie ein schwarzer Schatten wandelte er in den heiligen Hallen herum. Endlich hatte er das Opfer und brachte es zum Altar. Auf ein Zeichen des diensthabenden Priesters begannen die Leviten einen Gesang, so herzerweichend, das ihm sein Herz wie ein Stein vorkam, der ins Schmelzen geräth, so daß er nach Beendigung des Rituals einem vom Tode Auferstandenen glich. — Man kann sich den Eindruck denken, den diese unerwartet an die richtige Adresse gerichtete Erinnerung auf den Gast des Rabbiners hervorbrachte.
Jeder Tag seiner verhältnißmäßig kurzen Wirksamkeit — er starb nach etwa 14 jähriger Amtirung im 52. Lebensjahre — brachte die erstaunlichsten Fakta, deren Details hier nicht Platz finden können.
Besonderes Aufsehen erregte in K. ein Fall kurz nach seinem Tode. Ein gewisser Samnel Lipschütz, den ich persönlich gekannt habe, hatte als 4jähriger Knabe Gehör und Sprache verloren. Sein Vater R. Josef Berisch Lipschütz, später Rabbiner zu Rieglitz, hatte damals einen Tabakverschleiß in K. Als der Knabe 11 Jahre alt war, brachte ihn die Mutter durch Fürsprache ihrer Verwandten in Wien in die dortige Taubstummenanstalt. Auf dem Rückwege fiel ihr ein, daß es am Ende