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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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wie sic R. Jsak Lurja für die lliellucliiw vorschreibt (11i8elliiLt 0iw88läivi V,3,6), wovon jedoch selbst R. Chaim Vital's Schüler bis auf R. Schalom Sar Ebi, der eine Ausnahme bildet, keinen Gebrauch zu machen wußten.

Wenn er dann nach langer Absorption wieder zu sich kam, wie jemand der aus einem Fesselballon aus weiter Höhe niedersteigt, umspielte ein nur dem geübten Auge wahrnehmbarer Anflug eines Lächelns seine Augen, und man glaubte dann einen unserer Alten ans grauer Vorzeit, etwa wie es sich der Phantasie aufdrängte, den vor 500 Jahren lebenden R. Mordchai bar Hillel aus Nürnberg vor sich zu sehen. Die bildnerische Kunst der Seele im Judenthum hat es nicht nöthig, sich dccadent in Töpferthon festzulegen. Daß ein solcher Mann wenig mit­theilsam war. ist selbstverständlich. Welche Unterhaltung konnte Wohl Mosche am Horeb mit den Schafen seines Schwiegervaters führen,' als er sie weidete? Doch hatte er eine gewählte, sehr intelligente und in jüdischer Wissenschaft gebildete Anhängerschaft, wie überhaupt Pöbel und Weiber, wundersuchende Kranke und Krüppel bei der ganzen Rabbinerfamilie nichts zu suchen hatten und nicht zugelassen wurden.

Kein Bücherstudium, keine noch so lebhafte Schilderung kann den Eindruck ersetzen, den seine Verkörperung der antiken Hoheit des Judenthums dem Auge bot. Sagt doch R. Juda Hanassi, daß der bloße Anblick R. Meir's, als er sich umwandte, für sein ganzes Leben von einem Eindruck gewesen sei, dem er seinen Vorrang vor seinen Zeitgenossen verdanke. Seine Hand war ein Unikum, der keine zweite unter 1500 Millionen Menschen gleichen konnte, so daß man mit R. Jochanan sagen durfte:Beweine solche Schönheit, die in der Erde vergeht." An Schönheit im trivialen Sinne des Wortes, durch Fett und Blut gebildet, war in diesem ätherischen Körper freilich nicht zu denken.

Der Eindruck, den eine solche Sabbathtafel hinterließ, war so betäubend, daß man an das Wort seines Vaters erinnert wurde: Wenn man von meinen Tischen wieder zum Materialismus zurückgeht, so kann man begreifen, wieso es möglich war, daß auf Sinai der Fall des goldenen Kalbes Nachfolgen konnte. Das bisher übliche Thorasagen bei Tische fand bei dieser Familie nicht mehr statt oder doch nur im Anfänge ihrer Amtirung, mit Ausnahme des R. Abraham Jacob Sadagora, der bis an's Ende leise, nur den Nahestehenden hörbare Vorträge einfacher Ethik hielt, wie auch schon R. Scholem Belzer und R. Hirsch Rymanower bestrebt waren, ihren hohen Gedankenflug in das unscheinbarste Gewand schlichtester Form zu hüllen. Die aus diesen Vorträgen entstandene Literatur war bereits derart angewachsen, daß eine Vermehrung derselben zum Mindesten überflüssig erschien. Außerdem war sie nur bevorzugten Schülern zugänglich und nur für solche berechnet, bei denen sie in Fleisch und Blut überging, daß sie danach handelten. Für Prediger­phrasen zur Befriedigung der Menge war sie viel zu vornehm. Dennoch fehlte es nicht an vereinzelten charakteristischen Aussprüchen. So sagte er einmal nach dem Anzünden der Chanukkahlichter:Wenn man rein ist von allen schlechten Eigen­schaften und alle bösen Leidenschaften überwunden hat, so ist man erst ein ehrlicher Goj. Wenn man die ganze Thora hält von L6i'68elli1 (Anfang) bis Kol

llwrool (Ende) ist man ein ehrlicher Jüd. Was man unter Zaddik verstanden haben will, das kann ich Euch nicht erklären."

In Sadagora war der Sammelpunkt aller kleineren Rebbes aus Rußland, Polen und Galizien, ferner der scharfsinnigsten und gelehrtesten jungen Leute, welche die Mühsal der weiten Fußreisen und die Entbehrungen nicht scheuten und Streberthum und Stellenjägerei verschmähten. Die soziale Frage fand hier ihre idealste Lösung durch die unbeschränkte Freigebigkeit, die namentlich das Erbtheil des russischen Juden ist, unter denen Millionäre wie Jakob Josche Ornstein und Jakob