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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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lassen, die eine außerordentliche Tiese, Kenntnis; und Hoheit des Geistes verratheu. Von Geburt an der strengsten Askese huldigend, sprengte sein feuriger Geist frühzeitig die schwache Körperhülle. Er starb mit Hinterlassung eines Sohnes am 14. Kislew 1870 in Jassy, wohin er Zur Konsultation eines Arztes gefahren war. Sein älterer Bruder R. Ber in Leowa, der mit ihm in unzertrennlicher Freundschaft lebte, gerieth durch die Nachricht von seinem Tode so außer Rand und Band, daß er zum Entsetzen seiner Umgebung am Freitag Abend als er den Kiddusch sprechen sollte, das Glas zerschmetterte, seinen Ornat in Stücke riß und seinen Austritt aus dem Chaßidismus und Uebergang zur Reform ankündigte. Man kann sich die Bestürzung seiner Um­gebung denken. Aber er hatte alte gewählte Chaßidin: seines Vaters um sich, welche diesen im Gegensatz zu seinen Brüdern mittheilsamen und in besonders geist­reicher Unterhaltung unermüdlichen Mann mit Vorliebe anssnchten. Sie erfaßten sofort die Gefahren dieser neuen Acherepisode für das Judenthum im allgemeinen und den Chaßidismus insbesondere. Aber die Bestürzung dauerte nur einen Moment. Es waren Leute, die an energisches Handeln in der Gefahr gewöhnt waren. Man war sich sofort klar darüber, daß man ihn in einen: Lande wie Rumänien, wo namentlich die religiösen Juden jeder Willkür preisgegeben waren, nicht lassen konnte. Man suchte ihn während des Sabbaths zu besänftigen; als aber alles nichts half, packte :nan ihn Abends mit Gewalt, setzte ihn in seine Kalesche, und fort gings im Galopp über die österreichische Grenze nach Sadagora an den Hof seines Bruders. Aber der rumänische Präsekt, der von der Entführung Wind bekommen hatte, be­schwerte sich bei der österreichischen Regierung. Gensdarmen und Militär umstellten den Hof und führten den Gefangenen nach Czernowitz, wo er nach Rücksprache mit der Regierung in die Obhut eines Advokaten von der Reformpartei (Dr. Reitmaun) gegeben wurde. Von dort aus erschien unter seinen: Namen eine hebräische Proklamation, die zun: Anschluß an die Reform ansforderte und die schlimmsten Befürchtungen eines neuen Sektirerthnms rechtfertigte. Man kann sich die Bestürzung und Aufregung vorstellen, welche diese Explosion anrichtete.

Noch als er in Sadagora gewisserinaßen internirt saß, war sein Bruder, der Rabbiner ans Czortkow, berufen worden, um ihm in Gemeinschaft mit den: Sadagorer Rabbi ins Gemüth zu reden. Sie gingen Freitag Abends zu ihm ins Gemach und ermahnten ihn eindringlichst zur Umkehr, aber er antwortete:Ich weiß, daß es einen Gott giebt, aber ich will ein Daatsch sein." Darauf sagte der Czortkower Rabbiner zu R. Abraham Jakob:Gehen wir! Du siehst, daß ein

böser Geist über ihn gekommen ist; unsere Blühe ist vergeblich." Als er das hörte, griff er nach dem Leuchter, um ihm denselben an den Kopf zu werfen; aber der

Sadagorer Rabbiner faßte ihn schnell beim Arme mit den Worten:Es ist Sabbath," worauf er sitzen blieb. Als er nach Czernowitz gebracht war, wich der Rabbiner drei Tage lang nicht vom Grabe seines Vaters und raufte sich in seiner Verzweiflung das Haar aus.

Etwa zwei Monate später, am Schuschan Purim, demselben Tage, an

welchem sein Vater R. Israel ans dem russischen Gefängnisse entkommen war, sprach R. Ber den: Dr. Reitmann seinen Entschluß aus, nach Sadagora znrückzukehren. Er blieb dort in einer besonderen Wohnung, ohne seinen Bruder zu sehen, durch fünf Jahre und starb als reuiger Büßer an: 13. Kislew 1875 fast pünktlich am Todestage seines jüngeren Bruders R. Nach::::: (14. Kislew) und wurde im Ohcl seines Vaters beigcsetzt. So endete diese unglückliche Episode weit glimpflicher, als

die ähnlichen tragischen Fälle in der Familie des Raw und in Kotzk. lieber die

Persönlichkeit dieses Mannes und die Ursachen seines Falles läßt sich so Manches sagen. Er war der Schwiegersohn und besondere Liebling des R. Mordchai Czcrnobicler, welcher sich rühmte, denBär" unter den Kindern des R. Israel sein eigen zu nennen.