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Tie Strenge seiner Askese, die Unermüdlichkeit seines Geistes, hatten nicht verfehlt, seine angeborene große Empfindlichkeit zu nervöser Ueberreizung zn steigern. Seine Ehe war kinderlos; somit war er der einzige unter allen Brüdern und Verwandten, dem kein Familiensegen, keine Hoffnung auf einen sein Andenken verewigenden Nachfolger winkte. Durch den Tod seines Lieblingsbruders sah er sich in seiner Verbannung gänzlich vereinsamt; denn als solche betrachtete er seinen Aufenthalt in dem in religiöser, ethischer und wissenschaftlicher Beziehung recht niedrig stehenden Rumänien, während seinen Brüdern die besten Kräfte der Judenheit von weitester Ferne znströmtey. Dazu seine fürstliche Erziehung und die hoch- fliegenden Jugendträume, die sich an die Würde -seines Hauses knüpften, die ihm in seiner verdüsterten Stimmung als bittere Ironie des Schicksals erschienen. Es widerte ihn an, den Gesundbeter für die untersten Volksschichten zu spielen. Es ist Thatsache, daß er einst einem.Dorfsmanne. die angebotenen Goldstücke ins Gesicht schleuderte: „An Deinem Gelds klebt Blut; glaubst Du etwa, bei uns einen Ablaß
kaufen zu -können?" Dazu die Verzweiflung, welche ihm der Ausblick über die Hoffnungslosigkeit brachte, die mit dem Anfwande aller Seelenkräftc in seinem Hause traditionelle Erbetung der endgültigen messianischen Erlösung bei Lebzeiten verwirklicht zn sehen. Sein starker unbeugsamer Geist beantwortete, wie leider so mancher Vorgänger in den schweren Zeiten der Prüfungen des Erils, die Ablehnung seiner Bitten mit trotziger Auflehnung, wie dies R. Abraham bar Isaak im Üritü iUcuiriollull rügt, die Gefallenen der göttlichen Langmnth empfehlend. Daß heroische Seelenkämpfe, aber keinerlei niedrige Motive sein Unglück hcrbeigeführt haben, ist selbst für diejenigen, die diesen hoch veranlagten Mann nicht gekannt haben, schon aus
dein Umstande begreiflich, daß er bei einem blindergebenen Haufen, wenn er sich zur
Heuchelei erniedrigen konnte, Geld, Ehre und Wohlleben, wie kein Zweiter, zu genießen im Stande gewesen wäre.
So unglückselig diese Mondfinsterniß zu einer Zeit kommen mußte, in welcher das jüdische Volksleben nach langer Zeit wieder seinen Vollmond erreicht zu haben schien, so wäre dieselbe eben so spurlos verschwunden, wenn der uralte
Geist der Zwietracht und OZN nicht wach gewesen wäre. —
Die Schilderung der nun folgenden Kämpfe und Wirren ist eine der undankbarsten Aufgaben, denen sich der Schreiber zu unterziehen hat, welchem die Geschichtsschreibung der Epoche des Chassidismus beschieden wurde. Mit der Wahrheit kommt man bekanntlich am schnellsten durch das Land, weil man überall an die Luft gesetzt wird, bei Freund und Feind gleich Anstoß erregend. Aber so wenig ich mich zur Zeit der heftigsten Kämpfe vor dreißig Jahren durch irgend welche persönliche Rücksichten abhalten ließ, meiner Entrüstung über die frivole Entfesselung von Haß und Verleumdung Ausdruck zu geben, ebensowenig lasse ich mich im vollen Gefühle der Verantwortlichkeit im Alter, wo man sich hütet, eine Unwahrheit dem Papiere anznvertrauen, davon abhalten, Aufklärung darüber zu geben, warum, wie seit den ältesten Zeiten unserer Geschichte, die großartigsten Leistungen von Männern höchsten Ranges es zu keinem entscheidenden Siege über das Kleinliche und Niedrige im Volkstum zu bringen gewußt haben.
Unter den enragirtesten und daher bestgehaßten Gegnern des Chassidismus spielte namentlich R. Baruch Fränkel, Rabbiner zu Wisznicz in Westgalizien, später in Leipnik, eine hervorragende Rolle. Wegen seiner herabsetzenden Aeußeruugen über den 8okur (die in seinen Schriftennachlaß eingestreuten Soharstellen sind Einschiebsel) wird er gezwungen, Galizien zn verlassen und nach Mähren auszuwandcrn. R. Mendel Rymanower, R. Abraham Josua Heschel und der ihm an Scharfsinn und talmndischer Gelehrsamkeit weit überlegene R. Israel Koziniecer waren ihm unversöhnliche Gegner. Ersterer sagte: „Er muß hinaus oder wenigstens Rabbiner