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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
Entstehung
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Planen. R. Mordchai Banet war viel zu ernst und erhaben, um diesem srommen Jugendstreiche aus den Leim zu gehen. Nur in dieser Atmosphäre, in einer Art übertragenen Wirkungskreise konnte diese pin kraus entstehen, welcher zur unab­weisbaren Entschuldigung eine später ebenso nachweisbare Neigung zur Halluzination und Selbsttäuschung zu Grunde gelegen haben muß. Aber der Boden in Mähren war sür den jungen Feuerkopf viel zu heiß. Er und seine Schwäger, die Söhne des R. Baruch, kehrten nach Polen zurück und schlossen sich dem als einzige Zufluchtsstätte der Religiosität erkannten Chassidismus an. R. Chaim nahm eine Stelle in dem kleinen Städtchen Rndnik als Rabbiner an und war ein eifriger Chaßid des Rabbiners Naftali Rubin (den Namen Horowitz hat die Familie erst später mit Bezug auf die Mutter dieses Rabbiners, der Tochter des Hamburger Rabbiners Isaak Horowitz angenommen) von Ropczyce. Er trat hier in eine ganz neue Umgebung und Schule ein, die einen vollen Umwandlnngsprozes; nöthig machte. Zuerst mußte er das Odium von sich abwälzen, als Schwiegersohn eines der ent­schiedensten Feinde des Chaßidismus dessen Ansichten noch immer innerlich mit sich zu tragen.

Zu diesem Zwecke und gleichzeitig wohl auch in der Absicht, die tiefen Spuren dieser Jugend Andrücke aus sich los zu werden, warf er sein ganzes Selbst­gefühl bei Seite, wie es auch unter dem Eindrücke einer so gewaltigen Persönlichkeit, wie R. Naftali, nicht anders ging, unterzog sich der strengsten Subordination durch gleichen demokratischen Verkehr mit dem gemeinsten Manne. Das führte einmal zu einem tragikomischen Intermezzo. Sein Schwiegervater R. Baruch Fränkel traf einmal auf der Reise mit R Naftali Rubin in Krakau zusammen. Ersterer stellte ihn mit den Worten zur Rede: So, Rvpczycer Raw, haltet Ihr die Thora in Ehren! Dafür daß mein Schwiegersohn Euer Chaßid geworden ist, habt Ihr ihn mit der Schick gesandt; war denn kein anderer zu bekommen? R. Naftali erbleichte. Was Dummköpfe anstellen können! sagte er. Ich habe meine Tochter verheirathet und hatte tausend Sorgen sür die Unterbringung so vieler Gäste und noch so vieles andere. Da kamen einige junge Narren und fragten mich, wen man mit der Schick schicken soll. In meinem Unwillen, wegen solcher Lappalie gestört zu werden, rief ich ihnen zu: Meinetwegen schickt den Rudniker Raw. Das haben also die Toren für baare Münze genommen und am Ende wer weiß was hineingedeutet. Ich muß mich wegen dieses unbeabsichtigten Verstoßes wirklich ent­schuldigen." Die Schick ist ein alter süddeutscher Brauch, der noch heute auf Bauernhochzeiten in den Alpenlündern herrscht. Die Abstammung der westgalizischeu Juden aus diesen Gegenden, die aus den eigcnthümlichen Übereinstimmungen des Jargons mit dem unschönen Tiroler Dialekt (juell ich, iraiLotWU ---- stammeln, usuell viel) nachzuweisen ist, wird auch durch diesen mittelalterlichen Schwank bestätigt, aus welchem der Konservativismus einen Minhag, freilich nur noch sür den galiziscbcn Weichselgrenzbezirk, gemacht hat. Derselbe besteht darin, daß der Bräutigam der Braut ein Geschenk durch einen Boten übersendet, der rücklings auf dem Pferde sitzt, dessen Schweis er in der Hand hält. Wenn der Rabbiner von Rudniki diese heikle Mission übernehmen zu müssen glaubte, ohne Widerspruch und kritische Prüfung des Befehles, so läßt dies ans eine wachsweiche Widerstandslosigkeit impressionistischen Eindrücken gegenüber schließen, die auch in vollem Einklänge mit seinem in entgegengesetzten Fällen sich einstellendcn grenzenlosen Jähzorne stand. Es war eben ein von R. Israel Friedmann gerügter Fehler der alten Schule oder vielmehr ihrer zu weit getriebenen Fortsetzung, daß sie die jungen Leute viel zu starken Schwankungen der Selbstreflexion aussetzte, bei denen ans die völlige Selbst­verleugnung eine Reaktion bis zum Größenwahn gesteigerten Selbstgefühles zu folgen pflegte. Mach Dich nicht so klein, sagte der Preßbnrger R. Moses Sofer zu