Glanz der Lubliner Schule mit ihren meteorartig blendenden Geistern erloschen war (1815). Die Nachfolger waren bis 1831 ebenfalls sammt und sonders vom Schauplätze abgetreten. Der lärmende Massenchaßidismus, der an ihre Stelle trat, begegnete vielfachem Mißtrauen nnd Unbehagen. Unter solchen Umständen blühte dem jungen Gelehrten der Weizen für sein Jugendprogramm, die Wiederherstellung des alten Rabbinates unter chaßidischer Marke. Aber die Zeit war noch nicht gekommen. Dem gewaltigen Einflüsse der Alles mit sich reißenden Erscheinungen von Männern, wie R. Israel, von Rozian, R. Hirsch Rymanower, R. Scholem Belza, mußte er sich beugen nnd nochmals jahrelang die Hoffnung bei Seite setzen, mit den Insignien des alten Rabbinates selbst an's Ruder zu gelangen.
Es ist ein eigenthnmliches Problem und eines der tiefsten Rüthsel des menschlichen Charakters, das Problem der Herrschaft. Der Talmud sagt in seiner unvergleichlichen Drastik: Unter der Herrschaft Edom's (Ariern) und nicht unter Jsmael
(Arabern), unter Jsmael und nicht unter Gebern (Parsen), unter Parsen und nicht unter dem Joche eines Gelehrten (Pulinicl Oimelmm). Damit soll gesagt sein, daß der angeborene Despotismus des Gelehrten unerträglicher ist, als der des Parsen, Türken, Europäer. Eine andere Regel sagt: Wohne nicht in einer Stadt, deren Oberhaupt ein Gelehrter ist. Eine dritte: Wenn Du einen Gelehrten mit Jähzorn behaftet siehst, so hast Du ihm das mit den Anstrengungen des Studiums (nervöser Ueberreizung) zu entschuldigen.
Daß diese explosiven Charaktere vermöge ihrer psychischen Anlage Unheil anrichten können, wird in vielfachen Variationen bestätigt. Namentlich im Mittelalter war die Strenge mancher Großen so gefürchtet, daß R. Israel Jsserlein in seinen Responsen den R. Israel Brnna wegen derselben zurechtweist, und ihn an das landläufige Sprichwort erinnert: i«st tenujklwulsilüu lrud'6, die Gelehrten üben sich nur im Schädigen, im Unheil zusügen. Was es hieße, die mittelalterliche Jurisdiktion wiederherznstellen, das kann man im Krakauer Pinkes (Kahalsverordnungen) ans dem Jahre 1550 Nachlesen, wo ein Junge, der einen Betrag von 290 polnischen Gulden gestohlen hatte, zuerst 40 Stockstrciche vor der Synagoge erhielt, dann mit dem Staupbesen durch die Gemeinde gestäupt aus der Stadt verwiesen wurde, mit der Drohung, daß ihm bei unbefugter Rückkehr beide Ohren abgeschnilten werden würden. Dieses von den Kultusvorstchern eingeführte Polizeigesetz beweist, wie weit die mittelalterliche Rohheit des Strafverfahrens auch auf jüdische Kreise abgefärbt hatte, wobei zwar die Gelehrten nicht gefragt wurden, auch wohl den Reichen gegenüber, das Geld, das einzige Palladium, um dessetwillen die Juden geduldet wurden, eines besonderen Schutzes bedürftig schien. Aber wie war das mit der humanen Gesetzgebung der Thora in Einklang zu bringen? Das arische Mittelalter henkte den Dieb, so daß das Ohrcnabschneiden dagegen noch als eine verhültnißmäßig milde Strafe erschien; aber die Thora wollte von dieser Verstümmelung nichts wissen. Da hals man sich nun mit der These: liebln inuiclüu WDOiweiüii sellelo nun iiuloim, in Ausnahmsznständen kann das Gericht Strafen verhängen, die in der Thora nicht vorgesehen sind. Daß ihrer Natur nach gewaltthntig veranlagte Persönlichkeiten hieraus einen Freibrief für Mißbrauch der Gewalt machen konnten, ist einleuchtend. Diesen Bestrebungen einen Riegel vvrzuschiebcn, die möglichste Freiheit des Individuums anznstreben, die Macht nur Männern von hohem Charakter nnd unzerstörbarer Langmuth und Güte, innigster, wahrster, aufopferndster Nächstenliebe anznvertrauen, das war das Programm des R. Israel Balschemtow, und er wußte Männer zu finden und zu erziehen, die als lebendige Vertreter von Generation zu Generation dasselbe nicht zur hohlen wohltönenden Phrase auf dem Papier verblassen ließen.