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mgchte ihn zur Geißel seiner Zeit und entfachte Brände von Hast und Zwietracht, die noch heute sortglimmen und ebenso traurige Folgen gehabt haben würden, Wie die unseligen Zwistigkeiten, die ein Jahrhundert früher das deutsche Ghetto in Brand steckten, nichts als trostlose Ruinen zurücklassend.
Es ist ein sehr undankbares Thema, über das so schnell als möglich lvegzu- kommen das Beste wäre. Wenn nicht eine ganze Brandliteratnr über diese Streitigkeiten existirte, die späteren Literaturbnben ebenso Gelegenheit bieten könnte, das Ansehen erhabener Männer ebenso in den Staub zu zerren, wie es heute noch gewisse Wegelagerer mit dem Andenken der geachtetsten Gelehrten jener trüben Epoche treiben, so könnte man. die ganze unselige Geschichte mit Schweigen übergehen. Es war einmal eine jener unglückseligen Katastrophen, von denen der Talmud voraussagt: „Streit zwischen den Gelehrten, Kamps und Schimpf über Schimpf." Wie alle Ereignisse in der vieltansendjährigen Geschichte des Jndenthums im Keime in der Thora enthalten und geschildert sind, so daß der Abschnitt von Korach einen ebenso integrirenden Bestandtheil derselben bildet, wie die Genesis oder irgend ein anderer Abschnitt, so ist es für den Zeitgenossen, der alles zu beobachten Gelegenheit hatte, besonders interessant, an diesen Vorgängen ein lebendiges Bild der Volksstimmungen sich entrollen zu sehen, das erst das Verständniß für jene antiken, so kurz geschilderten Vorgänge erschließt.
Wenn nun auch die schweren Katastrophen in immer gemilderter Form auf- tratcn, so konnten alle Kraftanstrengungen der Volksseele, die in einer der schwicrgsten Kampfeszeiten sich im Chaßidismus äußerten, nur als theilweise und begrenzte Erholung auftretcn.
Wie bereits geschildert, war zur Zeit dieses Mannes eine Periode der Erschlaffung eingetreten. Die angestrebte Einheit hatte einer Spaltung in zahlreiche, größere Lager Platz gemacht, deren Führer unabhängig von einander, jeder nach seiner Art vorgingcn, wodurch Reibungen und Zwistigkeiten zwischen den einzelnen Parteien entstanden. Wie mir mein alter Freund erzählte, beurtheilte der Seher von Lublin diese Spaltungen sehr realistisch. Es spielen zwar dabei Verschiedenheiten der Lehrsysteme und tiefe psychische Differenzen eine Rolle, aber die reale Grundlage sind immer unbewußt Neid, Leidenschaft und Ehrgeiz. In ähnlichem Sinne äußerte sich später der Nestor der Führer, R. Abraham Josua Hcschel: „Wenn man alle diese Streitigkeiten in eine Büchse laden würde, so wird man einen Groschen herausschießen." Wenn solche Urthcile im Ausstieg der ans einen verhältnistmästig kleinen und ansgewählten Kreis beschrankten Bewegung galten, um wie viel mehr zu einer Zeit, als dieselbe die Massen und soviel zweifelhafte Elemente mit fortgerissen hatte. Wie schon 600 Jahre früher R. Juda Chastid im Later 0ti388iclim wiederholt Klage führt (namentlich 1164), siegte die anspruchsvolle, gelehrte Mittelmäßigkeit über die wahrhaft bedeutenden Geister, drängte sie dieselben mit Gewalt in den Hintergrund und verwerthcte ihren Einfluß für ihre Herrschsucht. Die wenigen, wahrhaft bedeutenden Schüler der großen Vorgänger, die durch die neueil Vereine an die Wand gedrückt waren, wurden von dem neuen Anwart ans die Herrschaft mit einer Tyrannei behandelt und verfolgt, die dunkle Schatten auf seinen Charakter wirft. Er hatte eine ganz neue Einrichtung eingcsührt. Während bisher die Zusammenkünfte beim gemeinschaftlichen Mahle nur für die Sabbathe und hohen Festtage eingeführt waren, wurden dieselben in Neusandcz auch an Wochentagen, Tag für Tag abgehalten. Da ging es dann hoch her, und die zahlreiche Anhängerschaft meist verkrachter Existenzen, schiffbrüchiger Gelehrten, stellenloser Rabbiner, znrnckgesetzter Enkel von Männern, die einen Namen hatten, die da ans Regiinentsunkvsten erhalten wurden, berichteten im trauten Verkehr mit dem nach Popularität haschenden Führer über alle möglichen Verhältnisse der einzelnen Gemeinden, Vereine, Rabbiner und RebbcS im Umkreise von hundert Meilen.