Druckschrift 
Der glaubensvolle Muth des israelitischen Volkshirten dem Murren seiner Gemeinde gegenüber : Predigt, gehalten in der Synagoge zu Schwerin am 29. Juni 1844 / dem Druck übergeben von Samuel Holdheim
Entstehung
Seite
6
Einzelbild herunterladen

U

6

. I. Gemurrt, vielfach gemurrt wird im heutigen Israel über| ſeine geiſtlichen Führer. Die Zeit des ſtillen Friedens if

zu Grabe gegangen und hat einer Zeit unruhiger Bewegung den Platz eingeräumt. Wer theilnehmenden Sinn für Religion überhaupt in ſeinem Herzen fühlt, wem es insbeſondere um die Erhaltung und Fortbildung feiner israelitiſchen Religion Ernſt iſt, der wird von dieſer allgemeinen geiſtigen Bewegung im heutigen Judenthum mehr oder weniger mitberührt werden. Im Allgemeinen glaubt man, an dieſer Bewegung ſeien Dies jenigen allein Schuld, die an deren Spitze ſtehen. Wären dieſe nicht, hätten dieſe nicht, von Neuerungsſucht und Zer­ſtörungsluſt getrieben, den Feuerbrand der Zwietracht in den Schooß ihrer Gemeinde geworfen, es herrſchke noch jetzt ſtiller Friede in ihrer Mitte, wie er Jahrtauſende in ihr geherrſcht hat. Allein dies iſt ein Irrthum. Der Grund der Bewegung liegt tiefer. Nicht die wenigen Männer, die an der Spitze der Gemeinden ſtehen, haben die Bewegung herbeigeführt, ſondern die Gemeinden ſelbſt, die Geſinnungen und Kräfte, die in denſelben wirkſam waren und ſie bewogen, ſolche Männer an die Spitze ihrer religiöſen Angelegenheiten zu berufen. Der Sturm bewegt augenſcheinlich die Meeres­wellen, aber der Grund der Bewegung liegt einerſeits in der Flüſſigkeit und Beweglichkeit dieſes Elementes, andererſeits in den atmoſphäriſchen Verhültniſſen, welche den Sturm herbei­führten. Noch lange bevor jene Männer in die Gemeinden traten, herrſchte in demſelben ein tiefwurzelndes Mißbehagen mit den gegenwärtigen Zuſtänden. Man fühlte es lebhaft, daß der ſogenannte ſtille Friede die beſten Kräfte der Gez meinden aufzehre und wie ein Beinfraß an ihrem innerſten Leben nage. Man ſagte es ſich deutlich, daß dieſer ſtille Friede dem Tode nicht unähnlich ſehe und daß alles geiſtig⸗religiſe Leben in ſtiller Auflöſung begriffen ſei, und fühlte den Drang und die Sehnſucht nach Leben und Bewegung. Es war freilich nur ein dunkeles Bewußtſein, welches die Gemeinden antrieb, aber es war dennoch wirkſam. Man geſtand es ſich halblaut ein, die religiöſen Zuſtände ſeien krankhaft geworden und es müſſe etwas geſchehen, daß ſie wieder geſunden. Der Gottesdienſt befriedige nicht und habe aus Mangel an Befriedigung alle und jegliche Einwirkung auf Leben und Geſinnung verloren; es müſſe etwas mit ihm vorgenommen werden, das ihm die verlorene Kraft wiedergähe. Der Religionsunterricht der Jugend, von roher Hand geleitet, liege in den letzten Zügen; er müſſe gehoben werden. Die Deraſchah mit ihren Spitzfindigkeiten erbaue und belehre das