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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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Dieser einzige Zug gibt uns einen Maßstab für die un­gewöhnliche Wohlthätigkeit, die im Hause des Frankfurter Rabbiners geübt wurde. Dieses Haus und das Leben seiner Bewohner gehörten der ganzen Welt. Hunderte von Schülern hatten sich um den weltberühmten Lehrer aus aller Herren Länder zusammengefunden. Ihre Ausbildung und Ver­sorgung galt Rabbi Jesaja unter den zahlreichen Liebesthaten, die seine Wirksamkeit auszeichneten, als Gegenstand besonderer Fürsorge.

Unter den Schülern, die zum großen Theil schon im gereiften Mannesalter standen, befand sich ein junger Mann, Namens Proßnitzer, der erst siebenzehn Jahre zählte und trotz­dem von Rabbi Jesaja mit besonderer Auszeichnung behandelt wurde.. Er hatte ein großes Wissen, und führte einen für seine Jugend so frommen Lebenswandel, daß er in dem Hause des Rabbiners als sogenannter Haus-Bochur Aufnahme ge­funden hatte, also wie ein Hauslehrer als zur Familie gehörig betrachtet wurde.

Rabbi Jesaja hatte mit seinem Hausbochur eben das Pensum durchgesprochen, das er mit den Kindern im Talmud durchnehmen sollte, als die Rabbinerin ganz erregt ins Zimmer trat.

Lieber Mann, Dein Pelz fehlt, ebenso Deine sämmt- lichen Schabboskleider, und der schöne, blaue Jomtofrock mit den goldnen Knöpfen! Die hat Niemand anders genommen, als"

Sprich nicht weiter, liebe Frau," unterbrach mit sanst- müthiger Bescheidenheit Rabbi Jesaja die Aufregung seiner würdigen Ehehälfte. Dieselbe war in der That die würdige Gattin ihres Gatten. Die große Gastlichkeit, die in diesem