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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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Hause geübt wurde, wäre ohne eine solche Hausfrau ja nicht denkbar gewesen. Sie trug gern die schwere Bürde eines solchen Hausstandes, aber sie war doch zu viel Hausfrau, als daß sie einen solchen Mißbrauch ihrer Gastfreundschaft ruhig hätte hinnehmen sollen.

Sie wußte, wie ihren Mann die schlechte Handlungs­weise eines Gastes empören mußte. Da sie aber in den Mienen und in den Worten ihres Mannes keine Spur von Erregung gewahrte, so glaubte sie schon, sie habe sich in der That geirrt und ihr Mann wisse Näheres über den Verbleib der Kleider. Sie wurde<in dieser Annahme noch bestärkt, als Rabbi Jesaja sortfuhr:

Wenn Jemand einen Gegenstand nicht sofort finden kann, und er sagt, mir fehlt das und jenes, so hat er schon ein Unrecht gethan. Denn in dieser Form der Rede liegt schon eine mittelbare Verdächtigung des Diebstahls, wenigstens ver­bindet sie unser Sprachgebrauch stillschweigend damit. Hätte ich Dich aber weiter reden lassen und Du hättest gar den Namen desjenigen über die Lippen gebracht, den Du in Ver­dacht hast, so hättest Du möglichenfalls, ja sogar höchst wahr­scheinlich einen unserer Gäste unschuldig verdächtigt. Das ist ein Verbrechen, schwerer als der vermeintliche Diebstahl, der Dich so erregt. Du weißt, was unsere Weisen sagen:Wer Unschuldige fälschlich verdächtigt, der wird an seinem Körper bestraft." Und mit Recht. Der Gast hätte in vorliegendem Falle seinem Wirth nur einen Rock, aber die Wirthin hätte ihrem Gast die Ehre gestohlen."

Gegen diese Argumente konnte die Rabbinerin nicht an­kämpfen. Aber der blaue Rock mit den goldenen Knöpfen war so leicht nicht Zu verschmerzen.