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IV.
Vierzehn Tage mochten seit dem geschilderten Vorgang, verflossen sein, als in später Nachtstunde, nachdem die laufenden Geschäfte des Tages erledigt waren, Rabbi Jesaja wieder über seinen Wandschrank ging, dessen Seitenwand die überaus kostbaren, seltenen Manuskripte barg, um sich in das Studium eines der geschriebenen Folianten zu vertiefen. Wer aber beschreibt das erschreckte Erstaunen des Rabbiners, als er beini Oeffnen des Silberschrankes denselben vollständig geleert fand. Rasch öffnete er die Seitenthür des Schrankes, um sich nach seinen litterarischen Schätzen umzusehen, sie standen unangetastet da.
„Gott sei Lob und Dank, daß meine heiligen Schriften unversehrt sind," sprach er halblaut vor sich hin. „Ein Gelehrter war der Dieb nicht, der hätte den silbernen Tand stehen lassen, unds nach der goldenen Wahrheit die Hand ausgestreckt,, die hier in schweren Barren aufgespeichert liegt."
Rabbi Jesaja ergriff dann sein Talglicht, das auf einem messingenen Leuchter brannte, leuchtete damit in alle Fugen und Kanten des ausgeraubten Schrankes hinein, probirte das Schloß, den Schlüssel, kurz, nahm eine so gründliche und vorsichtige Untersuchung des Thatortes vor, daß sie dem findigsten Detektive Ehre gemacht hätte, aber — ohne den geringsten Anhaltspunkt zu finden. Er schloß den Schrank wieder ab,, nahm seinen Folianten vor und vertiefte sich in dessen Studium, als ob nichts vorgefallen wäre.
Es schlug eben zwei Uhr. Rabbi Jesaja mochte über eine Stunde in seinem Buche studirt haben, als er es bedächtig schloß.