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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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schlossen Meister und Jünger ihre Folianten, um sich zum Morgengebet zu begeben.

Als die Schüler das Zimemr verlassen hatten, öffnete Rabbi Jesaja den Wandschrank, legte das herausgenommene Brett behutsam mit den Abdrücken der Hände an seine Stelle, verschloß den Schrank und steckte seufzend den Schlüssel in die Tasche.

Hätte ich diese Vorsicht immer gebraucht," sagte er leise vor sich hin,so wäre der Diebstahl nicht vorgekommen. Wenn der Dieb im Hause sein sollte, so war die tägliche Versuchung zu groß, um ihr auf die Dauer zu widerstehen."

Rabbi Jesaja legte Tallts und Tefillin an und begab sich eilenden Schrittes in die Synagoge, wo man mit dem Be­ginn des Morgengebets schon ungeduldig auf ihn wartete. Nach beendigtem Morgengebet begab sich Rabbi Jesaja sogleich wieder in sein Zimmer, verblieb daselbst noch einige Zeit in das Studium der Mischna sich vertiefend, um dann gemeinsam mit seiner Familie das Frühstück zu nehmen. Eine Zeit lang schwankte Rabbi Jesaja, ob er der Rabbinerin von dem pein­lichen Vorfall Mittheilung machen, oder ob er ihr die Auf­regung so lange als möglich ersparen solle. Er entschied sich für das Erste. Der Verlust betrug mehrere tausend Gulden; die entwendeten goldenen und silbernen Gefäße waren zum großen Theil Familienstücke seiner Frau, er durfte dieselbe da­her nicht über das Geschehene in Unwissenheit lassen.

Nach dem Frühstück bat Rabbi Jesaja seine Frau, zu ihm in's Zimmer zu kommen und dort erzählte er ihr den Vor­fall, öffnete den Schrank und zeigte die leeren Bretter. Die Rabbinerin starrte sprachlos vor sich hin und unwillkürlich traten ihr die Thränen in die Augen. Es warentheure" An-