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Stunden ungestört bleibst, dann mußt Du mir aber Alles ausführlich erzählen."
Mit diesen Worten verließ die Rabbinerin das Zimmer, das Rabbi Jesaja hinter ihr abschloß. Er war jetzt allein und konnte in Ruhe mit seinem scharfen Geist das Vorgefallene überdenken. Bevor er dies aber that, ergriff er das erste ihm zu Hand kommende Buch, schlug es auf's Gerathenwohl auf und vertiefte sich in seine Lektüre. Es war ein Thnach (die 24 Bücher der heiligen Schrift), das er herausgegrisfen und gerade bei den Psalmen aufgeschlagen hatte. Er las halblaut mehrere Psalmen mit der ganzen Innigkeit und Andacht, deren er fähig war. Je mehr er sich in den Inhalt vertiefte, um so ruhiger wurde sein erregtes Gemüth, und er fühlte wieder den beglückenden Seelenfrieden bei sich einziehen, der sonst sein Leben verklärte.
Nach einer halbstündigen Lektüre schloß er das Buch und die müden Augenlieder, die sich schon mehr als 30 Stunden nicht zum Schlummer geschlossen hatten. Er träumte, nicht von Dieben und Polizisten, sondern von einer neuen Erklärung des 61. Psalms, den er soeben gelesen hatte. Die reine Seele des großen Mannes wob im Schlaf die Fäden weiter, die sie im Wachen begonnen hatte. Ein heiteres Lächeln umspielte die Lippen des schlummernden Denkers; es mußten edle, hehre Gedanken sein, die der rastlose Geist dachte, auch während der Körper im Schlafe versunken dasaß.
Aber der Schlaf hatte kaum eine Viertelstunde gedauert. Für Rabbi Jesaja hatte er vollkommen genügt; er fühlte sich frisch gestärkt und neu belebt. Mechanisch ergriff er wieder die heilige Schrift, schlug sie zum zweitenmale auf und stieß merk-