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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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Eine Stunde mochte etwa seit den im vorigen Kapitel ge­schilderten Vorgängen verflossen sein; Rabbi Jesaja hatte sich sofort auf den Weg nach der Gerichtskanzlei im Rathhause ge- ^ > macht, um den Untersuchungs-Richter Herrn Martin Schaab

aufzusuchen. Es war ein harter Gang.

In der Judengaffe standen zahlreiche eifrig discutirende Gruppen beisammen, die auseinanderstoben, sobald der Rab­biner in ihre Nähe kam. Er war der Gegenstand der Unter­haltung; das wußte er, auch wenn er kein Wort der Unterhal­tung verstand. Er meinte, die ganze Gasse, Hoch und Nieder, alle müßten mit Finger auf ihn deuten und sich zischelnd in die Ohren sagen: das ist der Mann, der wegen falschen Verdachts eines Diebstahls seinen Hausbochur der Polizei ausliefert und ihn an den Galgen bringt! Jetzt läuft er noch gar zum Richter selber, als ob ihm die Allarmirung der Polizei nicht genügte.

Als er eben in das weite Hofthor des Rathhauses eintreten wollte, kam ihm der Stadthauptmann entgegen.

Herr von Dingeldein konnte ein höhnisches Lächeln nicht unterdrücken, als er kalt und gemessen den Gruß Rabbi Jesajas erwiederte. Letzterer wußte nun, daß ihm Herr von Dingeldein zuvorgekommen war, und daß er somit für sein Anliegen auf j,, kein geneigtes Ohr rechnen dürfe.

Er ließ sich nichtsdestoweniger durch den Gerichtsdiener f anmelden und wurde erst nach langem Warten vorgelassen. Der

^ Frankfurter Oberrichter, Martin Schaab, gehörte einer bekann-

1 ten Frankfurter Patrizierfamilie an. Er war noch jung. Seine