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und seelische Ausregung des Gatten aus jedem Worte fühlend, redete ihm zu, sich durch Speise und Trank zu stärken, da er den ganzen Tag noch nichts genoffen hatte.
Rabbi Jesaja wies aber diese Aufforderung so entschieden zurück, daß sie nicht wiederholt wurde.
1 ^ „Nach dem Gesetze der Thora," sägte er, „dürfen Richter
L j an dem Tage, an dem sie ein Todesurtheil zu sprechen haben,
nicht Speise und Trank zu sich nehmen, bis nach gesprochenem , >!! Urtheil. Wenn die Richter, die doch von der durch sie zu be-
- j urtheilenden Schuld vollständig frei sind, diese Pflicht haben,
. so thue ich gewiß nichts übriges, wenn ich faste, bis Proßnitzers
Urtheil gesprochen ist. Vielleicht erfolgt das Urtheil heute oder
! morgen. Wenn es bis zum Sabbate nicht erfolgt ist, so werde
ich an diesem Tage in gewohnter Weise die vorgeschriebenen drei Mahlzeiten nehmen. Aber zum Ausgang des Sabbat trinke ich nicht einmal den Hawdolo-Wein und faste weiter, bis das Urtheil erfolgt ist. Ich sage Dir dies Alles, damit wir nicht s in Gegenwart Anderer darüber zu sprechen brauchen; denn Du
weißt, das Fasten verliert sein Verdienstliches, wenn man es Andern mittheilt. Dir mußte ich es sagen, weil ich es vor Dir i doch nicht hätte verheimlichen können. Vielleicht verzeiht mir
Gott so die große Sünde, daß ich eine solche Todesgefahr auf ^ das Haupt eines so braven, frommen, gottesfürchtigen Men
schen heraufbeschworen habe."
„Aber," entgegnete die würdige Gattin, „dann muß ich so ! gut fasten, wie Du. Denn in Wahrheit bin i ch die eigentliche
' Ursache des ganzen Unglücks. Mein thörichtes Hangen an eit-
! ' lem Geld und Gut war es doch allein, das Dich bestimmte, die
^ Sache der Polizei zu übergeben. Gestatte also, daß ich Dein
Fasten theile."
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