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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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'sinnig gehandelt, daß er uns die Noth seines Vaters nicht mit- -getheilt hat. Aber selbst dieser Fehler quillt aus seiner Scham­haftigkeit und Schüchternheit, die es nicht gewagt hat, eine so große Bitte an uns zu stellen. Er hat-"

In dieser Selbstanklage wurde Rabbi Jesaja glücklicher­weise unterbrochen durch den Besuch des ersten Vorstehers der Frankfurter Gemeinde, Rabbi Abraham Breitingen. Dieser hatte bereits von der Proßnitzer widerfahrenen Bestrafung auf Umwegen gehört. Die Nachricht davon war auch in die Ge­meinde gedrungen, in welcher deshalb große Aufregung herrschte. Niemand in der Judengasse glaubte an die Schuld Proßnitzers. Die allgemeine Verstimmung und Erregung wandte sich gegen den Rabbinen, der die Hilfe der Polizei in Anspruch genommen und dadurch die schimpfliche Bestrafung eines Unschuldigen veranlaßt habe. Der Vorsteher, der den Rabbiner eines solchen Schrittes nicht für fähig hielt, war ge­kommen, um eine zuverlässige Darstellung des Vorgefallenen zu erhalten, und so die erregten Gemüther zu beruhigen.

Was auch die Welt Schlimmes über mich denkt und spricht, sie hat ein Recht dazu," erwiederte Rabbi Jesaja seinem Vorsteher.Chotosi, Owisi, Poschati. Ich habe leichtsinnig, schlecht und verbrecherisch gehandelt." Und nun erzählte er den -ganzen Vorgang, wie wir ihn kennen. Nur den einen Umstand von der Handspur im Staube verschwieg er und die ihm daraus sich ergebende Gewißheit von Proßnitzers Schuld. Er sagte sich, daß in einem Criminalfall, bei dem es sich um Leben und Tod handelt, nach jüdischem Recht, selbst ein solch zwingender Beweis nicht genügt hätte, um das Schuldig über den Ver­dächtigen auszusprechen. Nur durch die Aussage zweier zuver­lässiger Zeugen könne ein Vergehen, auf das Todesstrafe steht.