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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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Ein tiefer Seufzer rang sich aus der Brust des Sprechen­den, dann aber fuhr er fort:

Es wird uns schwer fallen, die erste und unerläßliche Be­dingung zu erfüllen, denn wir werden, so weit Menschenaugen sehen können, Proßnitzer wohl kaum jemals wieder zu Gesicht bekommen. Ich möchte selber von Ort zu Ort wandern, um den durch uns Unglücklichen aufzufinden, aber ich darf es nicht. Die Pflichten meines Amtes gestatten eine solche Entfernung von hier nicht. Wenn heute noch einmal die Berufung als Rabbiner von Posen käme, die ich früher rundweg abgelehnt habe, ich weiß nicht, ob ich sie nicht annehmen würde."

Ich würde heute so wenig dazu stimmen, wie damals," erwiederte die Rabbinerin.Warum solltest Du auch Frankfurt verlassen, wo Du getragen von der Liebe und Verehrung einer großen Muttergemeinde in Israel eine so segensreiche Thätig- keit für unsere heilige Thora entfaltest? Was seitdem sich er­eignet hat, kann Dich nur bestärken, am hiesigen Orte zu ver­bleiben. Wenn das durch uns angerichtete Unglück wirklich eine so strenge Teschuba erfordert, wie Du sie Dir auferlegst, so gilt ja als Regel für den vollendeten Baal Teschuba, das Unrecht an demselben Orte wieder gut zu machen, an dem es begangen wurde."

Du bist ein gelehrtes, gottesfürchtiges Viederweib, wie es von König Schelomo am Ende von Mischle gefeiert wird. Obwohl der von Dir erwähnte Ausspruch unserer Weisen, ge­segnet sei ihr Andenken, auf unfern Fall wohl nicht die An­wendung hat, die Du ihm giebst, so braucht das doch jetzt nicht eiuseinandergesetzt zu werden, denn heute und morgen wird sich wohl keine Gelegenheit bieten, das Rabbinat einer anderen Ge­meinde anzunehmen oder auszuschlagen."