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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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Jesaja noch niemals geschaut. Dabei zählte der Mann sicher noch nicht vierzig Jahre. Ein langer, wohlgepflegter Bart wallte bis auf die Brust hernieder, das Haupthaar mit den Schläfenlocken hing in langen, dichten Locken herab, und der Wohllaut der Stimme hatte so etwas Anmuthiges, Ein­nehmendes, daß Rabbi Jesaja selbst die ihm fremde sephardische Aussprache leichter zu verstehen glaubte, wenn Rabbi Seeb Ephrosi mit ihm sprach.

Ein lang gedeckte Tafel, an welcher die Notabeln der Jaffaer Gemeinde bereits Platz genommen hatten, erwartete die Eintretenden. Ehrerbietig erhoben sich die Versammelten beim Erblicken Rabbi Jesajas von ihren Sitzen. Der greise Chacham ging Rabbi Jesaja entgegen und begrüßte ihn in der heiligen Sprache. Rabbi Jesaja antwortete in derselben Sprache, aber in dem Sprachidiom, mit welcher die deutschen Juden das Hebräische sprechen. Er entschuldigte sich, daß er in fremder Weise antworten muffe, aber er hoffe, daß er nach kurzer Zeit der Uebung in der Lage sein werde, in der Art und Weise seiner verehrten Wirthe sprechen zu können. Diese aber baten den gefeierten Gast, seine Ausdrucksweise nur ohne Be­denken beizubehalten, da sie ihnen so verständlich sei wie die ihrige. Sie seien an der Reihe, sich zu entschuldigen, daß sie mit ihrem so theueren Gast sich nicht in seiner Weise unter­halten können.

Rabbi Jesaja jedoch meinte, daß darüber gar keine Meinungsverschiedenheit sein könne, denn es sei über alle Zweifel erhaben, daß der Gast sich den Sitten des Wirthes accomodiren müsse und nicht der Wirth sich nach dem Gaste richte. Als Moscheh unser Lehrer zur Gotteshöhe emporstieg, um die Thora zu empfangen, fügte er sich dem Brauche der