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XIV.
Rabbi Seeb Ephrosi hatte es sich nicht nehmen lassen den hohen deutschen Gast in seinem Hause zu beherbergen. Obwohl er eine große Seidenzucht betrieb und dadurch geschäftlich sehr in Anspruch genommen war, widmete er sich doch vollständig seinem theueren Gaste. Durch den fortwährenden Verkehr in der heiligen Sprache eignete sich Rabbi Jesaja in erstaunlich kurzer Zeit die sephardische Ausdrucksweise an. nur beim Studium des Talmud, wenn die Geister schärfer als sonst in der Diskussion an einander geriethen, kam.es vor, daß. Rabbi Jesaja das Hebräische in der deutschen Aussprache wiedergab. Einmal aber kam es sogar vor, daß der sephardische Hausherr sich bei einem solchen Anlaß der polnisch- jüdischen Aussprache bediente, was Rabbi Jesaja in Staunen versetzte.
„Sie verstehen unsere Aussprache auch?" fragte Rabbi Jesaja verwundert. „Wie es mich angeheimelt hat, als ich zum ersten Male nach so langer Zeit wieder die heilige Sprache in unserer Weise sprechen hörte!"
Lächelnd erwiederte Rabbi Seeb: „Ihr seid ein Schüler, der seinen Lehrer klug macht. Während ich mir angelegen sein ließ, Euch unsere Aussprache zu lehren, habe ich ohne es selbst zu wissen, von Euch die Eurige angenommen. Wenn wir noch lange mit einander verkehren, glaube ich noch einmal vor Euerer Weiterreise Euch einen ganzen Chilluk (Disputation) in Euerer Ausdrucksweise abhalten zu können."
„Wenn Ihr das wollt, so muß es aber bald geschehen, denn morgen sind die acht-Tage verflossen, während welcher ich