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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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Da riß der fremde Reitersmann seinen Mantel aus, und indem er ihm den kaiserlichen Stern aus der Brust zeigte, flüsterte er leise:Ich heiße Napoleon!"

Rabbi Josl hatte Geistesgegenwart genug, sofort die Brocho zu sprechen, die beim Anblick gekrönter Häupter vorge­schrieben ist, nahm den Schnur an, wies aber das Geld zurück, und erbat sich nur die Gnade, um freie Passage bei seinen ver­schiedenen Reisen. In Folge der vielfach aufgestellten franzö­sischen Postenketten war der Verkehr sehr schwer und nicht un­gefährlich. Napoleon brachte einige französische Worte zu Papier, händigte sie Rabbi Jotzl ein, und verschwand so rasch wie er gekommen war. Jahre lang hatte Rabbi Josl das Papier aufbewahrt; es hatte ihm treffliche Dienste geleistet. Wo er es vorzeigte, öffnete man ihm Thoren, Thüren und Postenketten. Ein Blick auf dasselbe, hatte sofort die Weisung zur Folge:Katzenellenbogen passirt!"

Diese und ähnliche Rabbi Joel'schen Schnurren gingen Rabbi Moscheh durch den Kopf. Es war ihm klar, Rabbi Jotzl mußte z. B. dieses Begegniß einmal in einem lebhaften Traume gehabt haben; es hatte sich aber bei ihm so festgesetzt, daß er im Lause der Jahre nicht mehr Wahrheit von Dichtung zu unterscheiden vermochte. Sollte der morgen zu erbringende Beweis sich in ähnlichen Cirkeln bewegen? Aber Rabbi Joöl war nur in allgemeinen, politischen und ähnlichen Gebieten ein Phantast, der dann den Mund etwas voller nahm, als er es vor seinem gesunden Menschenverstand verantworten konnte. Im persönlichen Verkehr und gar im Thorastudium war er der rechtlichste, wahrheitsliebende Mann, der mit Be­wußtsein kein Haarbreit von der Wahrheit abgewichen wäre.

Als Rabbi Moscheh nach dem Frühgebet am andern