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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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denkt Euch, schreibt mir das Konsistorium in Kassel, es sei ihm mitgetheilt worden, daß ich mich auf ungerechte Weise an dem Waisengut der Dennler'schen Kinder zu bereichern suche, und ertheilt mir deshalb einen ernsten Verweis, mit der Mahnung, jede Beziehung nach dieser Seite hin abzubrechen, da sonst ein Prozeß gegen mich in Aussicht gestellt wird.

Bensew war von dem Seelenschmerz, den diese grund­lose Verdächtigung dem biederen Ehrenmanne bereiten mußte, nicht nur überzeugt, sondern er fühlte ihn in seiner ganzen Tiefe mit, wie nur ein Freund das Leid des andern theilen kann. Aber er unterdrückte sorgfältig jede Regung seines Schmerzes, um den betroffenen Freund nicht noch mehr zu beängstigen.

Ich begreife Sie nicht, Herr Pfarrer, wie Sie sich das so nahe gehen laßen, da es Ihnen doch leicht fällt, sich gegen diesen Verdacht zu vertheidigen. Sie brauchen ja nur den Vor­mund der Waisen, den Wirth Holzmann, als Zeuge für Ihre Rechtschaffenheit und Ihre selbstlose Hingebung anzurufen und die Sache ist durch einen einzigen Brief klargestellt."

Der Pfarrer lächelte traurig, rückte etwas näher an Bensew heran und flüsterte ihm leise in's Ohr:Man soll keinen Menschen grundlos verdächtigen, aber ich spreche keinen grundlosen Verdacht aus, wenn ich sage, daß der Holzmann der Anstifter ist, er hat mir die ganze Geschichte beim Kon­sistorium eingebrockt, er und kein anderer."

Bensew erstaunte über diese Mittheilung und gab diesem Erstaunen unwillkürlich Ausdruck, aber der Pfarrer fuhr un­beirrt fort:

Ich weiß, daß ich keinen Feind im ganzen Dorfe habe, aber diesem Holzmann bin ich im Wege. Er kann mir's