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Inzwischen war es Mitternacht geworden; er zog seine besten Kleider an, steckte in die Brusttasche seines blauen Jom- tofrockes die drei Dokumente, in die Hintertasche nahm er seine Tefillin und seinen bescheidenen Mundvorrath, dann ergriff er seinen derben Ziegenhainer, löschte das Licht aus, küßte zum Abschied die Mesuso und ging geraden Weges über Melsungen, Körte und Guxhagen nach Kassel, das er nach sieben- stündigem Marsche Morgens um sieben Uhr erreichte.
Der aufmerksame Leser hat Bensew's Absicht wohl schon errathen; er wollte direkt bei dem Konsistorial - Präsidenten zu Gunsten seines so schwer gekränkten Freundes vorstellig werden und für dessen Unschuld eintreten.
Bei einer befreundeten Familie zu Guxhagen hatte er auf dem Wege sein Morgengebet verrichtet und Gott um seinen Beistand für das gute Werk angerufen, das er zu vollbringen im Begriffe war. Neu gestärkt setzte er seinen Weg fort, aber als er durch die Straßen der kurfürstlichen Residenz schritt, stellte sich ihm schon das erste Hinderniß entgegen: er wußte die Wohnung des Prälaten Schellenberg nicht.
Wen er danach fragte, sah ihn groß an mit einem Blick, der staunend fragte: Was hat ein simpler Dorfjude bei dem höchsten kirchlichen Würdenträger des Landes zu suchen? Aus Uebermuth und Unwissenheit erhielt er dreimal verkehrten Bescheid, bis sich ein Briefträger Bensew's annahm und ihm die genaue Adresse des Prälaten Schellenberg angab.
Es war kurz vor acht Uhr Morgens, als er das rechte Haus traf. Daß man hochgestellte Beamte nicht zu so früher Morgenstunde und nicht in ihrer Privatwohnung, sondern in ihrem Büreau aufsucht, daran hatte Benfew in seinem wackeren Eifer nicht gedacht. Aus dem ersten Stock des Hauses, in