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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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stehen, unsere Maßnahmen als schwarzen, grundlosen Verdacht auszugeben, sag' Er einmal, wie Er zu solcher Dreistigkeit kommt?"

Verzeiht, hochwürdiger Herr, Wohl weiß ich, daß es sür einen unerfahrenen Dorsmann eine große Dreistigkeit ist, auch nur vor Eure Eminenz hinzutreten. Aber unser Herr Pfarrer hat mir bei früheren Anlässen schon so viel von Hochdero Her­ablassung und Leutseligkeit auch gegen den Niedrigsten erzählt, daß ich mir gesagt habe, es müsse einem so edlen Manne selber leid thun, einem im Dienste grau gewordenen Seelsorger ein Unrecht zuzufügen, wie dasjenige mit dem Konsistorial-Verweis da. Geschickt hat mich Niemand, aber getrieben hat mich mein Herz, das keinen Unterschied zwischen Juden und Christen kennt, das wie dasjenige der alten jüdischen Propheten sür Moab und Edom, wie für die eigenen Stammesgenossen schlägt, das weiß, daß wie Maleachi sagt, Alle einen und den­selben Vater haben, und daß uns Alle ein und derselbe Gott geschaffen hat und das sich daher wild auflehnt gegen jedes Unrecht, das an einem Bruder verübt wird, mag er nun Jude oder Christ sein."

Er ist ja ein Schriftgelehrter, wie?"

Nein, der bin ich leider nicht; ich weiß nicht mehr, als ein einfacher Dorfjude meines Standes zu wissen pflegt, und das ist von einem Schriftgelehrten sehr weit entfernt."

Inwiefern ist Er denn an dem Handel mit dem Waisen­gut betheiligt?"

Ein Handel mit dem Waisengut, verzeiht Hoch­würdigster Herr, existirt gar nicht. Ich bin nicht daran be­theiligt und der Herr Pfarrer ist an keinem Handel betheiligt, der nur einen leichten Schatten auf seine Ehrenhaftigkeit