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mittags hätte er wieder zu Hause sein können. Was ihn noch in Kassel zurückhielt, war seine unbeugsame Wahrhaftigkeit, die sich nie ein Wort der Unwahrheit verziehen hätte. Er hatte zu Hause den Seinen gesagt, daß er auf dem Vorsteher- Amte zu thun habe; das Wort mußte er einlösen.
Als Gemeindeältester der Synagogengemeinde seines Ortes stand er in lebhaftem Verkehr mit dem Vorsteheramte der Israeliten, als seiner Vorgesetzten Behörde. Er hatte schon seit einigen Wochen die Absicht, bei dem Vorsteheramte Schritte wegen Besserstellung des Lehrers, Cantors und Schächters zu thun, der seit ca. sechs Monaten zur vollen Zufriedenheit der ganzen Gemeinde seines Amtes waltete. Auch den seit Jahresfrist amtirenden Landrabbiner hätte er gerne kennen gelernt und gewünscht, daß derselbe einmal zur Inspektion der Schule und Abhaltung eines Vortrages nach Malsfeld komme. Zu diesem Zwecke wollte er sich aber erst gerne vergewissern, welcher religiösen Richtung derselbe angehöre. Denn wenn er dem Abfall von der Religion der Väter huldigen sollte, der damals als „Reform des Judenthums" vielfach verkündet wurde, verzichtete er gerne auf den Besuch eines solchen Apostels dieser Modereligion.
Mit diesen und ähnlichen Gedanken ging er in der Richtung nach dem Bureau des Vorsteheramtes der Israeliten.
Auf dem Corridor bedeutete ihm der Pedell, daß der Herr Landrabbiner gerade beim Sekretär des Vorsteheramtes sei. Er führte ihn in das Vorzimmer und sagte ihm, er möge da warten, bis der Herr Landrabbiner fortgehe und dann solle er nur zum Sekretär, Herrn Dr. Pinhas, in dessen BUreau hineingehen.
Die Bürcauthüre war wegen der großen Hitze halb ge-