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öffnet. Bensew muß im Vorzimmer also jedes Wort hören„ das drinnen gesprochen wurde, und durfte annehmen, daß es jedenfalls keine Geheimnisse seien, die da bei offenen Thüren verhandelt wurden. Die Herren saßen hinter der Thüre, so daß Bensew weder sie sehen konnte, noch von ihnen gesehen wurde.
Die schlaflose Nacht, der ermüdende Marsch, die Aufregung des Morgens, machten ihr Recht geltend und Bensew hatte sich kaum niedergesetzt, als ihm die Augenlieder zufallen wollten.
Da wurde die Unterhaltung der beiden Herren etwas erregter und lauter, so daß sie unwillkürlich Bensew's Aufmerksamkeit fesselten. Die Stimme des Herrn Dr. Pinhas war Bensew wohlbekannt, und da er wußte, daß die andere Stimme die des Herrn Landrabbiners war, so konnte er sich leicht in die Situation finden.
Eben sagte die fremde Stimme:
„Ich wiederhole Ihnen, daß ich ganz auf Ihrem Standpunkte stehe, ja, daß ich vielleicht eine noch viel radikalere Reform wünsche, als Sie selbst. Aber eben deshalb halte ich eine Synagogenordnung, wie sie Ihnen vorschwebt, für einen chronologischen Fehler. Ja, für die Residenz schon; da erfreut sich das Gros der Gemeinde bereits der nöthigen Bildung und Aufklärung, aber in den Landgemeinden!? Wißen Sie, daß wir mit einer solchen Synagogenordnung bei den Landjuden eine richtige Revolution zu gewärtigen haben? Laßen Sie noch einige wenige Jahre in's Land gehen, bis ich mich selbst bei den Landleuten eingefllhrt habe und so die Möglichkeit vorhanden ist, sie für den Fortschritt zu gewinnen! Das ist meine unmaßgebliche Meinung."