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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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nähme auch nur zweifeln, Herr Doktor? Aber wenn die an­sehnliche Minorität gegen diese Majorisirung Protest erhebt, das Land aufwiegelt und selbst bei der Regierung unsere Be­strebungen durchkreuzt?"

Ihre Kollegen, die hier in Betracht kommen, sind ehr­liche, einfältige Leute; von ihnen lasse ich mir ihr Ehrenwort geben, daß sie über unsere Verhandlungen kein Wort außerhalb des Sitzungssaales verlieren, und dann bin ich ihrer sicher. Daß vom Land nichts zu fürchten ist, habe ich Ihnen bereits auseinandergesetzt. Und die Regierung? Ich bin jetzt fast zwanzig Jahre Sekretär des Vorsteheramtes, es wäre das erste Mal, daß sie einem un-serer Beschlüsse die Genehmigung ver­sagte. Sie hat keine Ahnung von den Gegensätzen und Kämpfen der heutigen Judenheit. Se. Excellenz Minister Hassenpflug hält uns Alle für stockorthodox. Hätte er einen Schimmer von unserer wirklichen Gesinnung und religiösen Richtung, dann wäre es allerdings schlimm. Aber das ist vollständig ausge­schlossen. Also schlagen Sie ein, Herr Landrabbiner, und machen Sie sich an den Entwurf einer neuen Synagogenord­nung, wie wir sie brauchen!"

Daraus hörte Bensew einen Handschlag und eine Be­wegung der Stühle, die den Schluß der Besprechung an­kündigte.

Seine Müdigkeit war geschwunden, das, was er als un­freiwilliger Zeuge hier gehört hatte, war vollständig geeignet, sie zu verscheuchen. Er glaubte mit Recht, daß die Herren nicht sehr erbaut sein würden, wenn sie wüßten, daß er ihre Be­sprechung mit angehört habe. Flugs öffnete er die Vorzimmer- thüre und verließ das Haus, bevor einer der Herren etwas von seiner Anwesenheit bemerkt hatte.