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IV.
Obwohl Bensew sich keines Unrechts bewußt war, drückte es ihn doch, daß er die Unterredung der beiden Männer angehört hatte, ohne ihnen seine Anwesenheit mitzutheilen. Aber er war auf den Platz angewiesen worden, an dem er jedes Wort hören mußte, ohne selber gesehen zu werden; er hätte nicht in's Bureau hineingehen dürfen, ohne sich einer Aufdringlichkeit schuldig zu machen. Aber wie dem auch sei, ganz geheuer war ihm bei alledem nicht zu Muthe. Er nahm sich vor, für's Erste keiner Seele ein Wort von dem zu sagen, was er gehört, als höchstens seinem väterlichen Freund und Rathgeber, Rabbiner Wetzlar in Gudensberg, der auch Mitglied des Landrabbinats, und zwar einer von den „Einfältigen" war, welchen ihre Einfalt verbietet, ihr Ehrenwort zu brechen.
Non Malsfeld nach Gudensberg find drei starke Wegstunden, die Benfew oft zurücklegte, um feinen Rabbiner zu besuchen. Einen Augenblick trug er sich mit dem Gedanken, ob er nicht direkt von Kassel nach Gudensberg gehen solle. Aber es zog ihn doch nach Hause, wo er wußte, daß ihn der Pfarrer sehnsüchtig erwartete und so trat er sofort um die Mittagszeit den Rückweg an, obwohl die Sonne hoch am Himmel stand und heiß herniederbrannte.
Was er heute Alles erlebt und erfahren, beschäftigte ihn so unausgesetzt, daß er weder Müdigkeit, noch Hunger unb Durstwerspürte, bis er gegen Abend nach Hause kam.
Ermattet von dem vierzehnstündigen Marsche und der seelischen Erregung legte er sich zur Ruhe nieder und suchte erst am anderen Morgen das Pfarrhaus auf.