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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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und zu lassen für gut finden, nur für sich, vor ihrem Gewissen und vor Gott zu verantworten. Aber die Herren mißbrauchen ihre amtliche Stellung, um den Geist des Abfalles in die Kreise der hessischen Judenheit zu tragen. Sie können nun G. s. Dank Niemanden zwingen, irreligiös zu leben, wenn sie auch die treue Anhänglichkeit an Gott und seillem Gesetz als' überwundenen Standpunkt belächeln und verspotten. Sie sind nun auf den Gedanken gekommen, die einzige Stätte, die ihrer Aufsicht und Verwaltung untersteht, zum Versuchsfeld ihrer Neuerungen zu machen, das ist der synagogale Gottesdienst. Ich kann Ew. Eminenz nicht sagen, mit wie vielen innigen Fäden die jüdischen Herzen an ihren Gotteshäusern und dem Gottesdienst hängen, der sich darin vollzieht. Jeder Brauch, jedes Gebet, jede Einrichtung, ja fast jede Melodie gilt ihnen als ein seit undenklichen Zeiten von den Ahnen überliefertes Heiligthum. Wenn ein Kind in den Abrahamsbund einge­führt wird, so vollzieht sich diese Einführung dort und die ganze Gemeinde nimmt an der Freude des Einzelnen Theil. Wer sein Theuerstes durch den Tod verloren hat, haucht an dieser Stätte vor der ganzen Gemeinde seinen Schmerz in er­greifenden Gebeten aus, auf deren Schwingen sich das gedrückte Gemüth hoch über die Mühen und Leiden dieses Lebens empor­schwingt. Es giebt nichts zwischen der Wiege und dem Grabe, an dem das Gotteshaus nicht innigen Antheil nähme. Draußen im Leben gedrückt und geächtet, finden wir uns hier wie eine große Familie im Vaterhause zusammen. Der hunderte von Meilen entfernte Fremde, der diese Stätte betritt, hört auf, ein Fremder zu sein, er fühlt sich als Bruder. Die trauten Laute der heiligen Sprache treffen das Ohr, rühren das Herz und schlingen das Bruderband um alle zerstreuten