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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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Vor meinen Gästen habe ich kein Geheimniß, und wer A sagt muß B sagen, also heraus mit Deiner Geschichte Nummer Zwei, die Sache sängt an, mich zu interessiren."

Nun, wenn Jhr's durchaus wissen wollt, so kann Euch geholsen werden. Ist bei Dir nicht ganz kürzlich vom Vor­steheramt der Israeliten oder vom LandraMnate eine neue Synagogenordnung eingelaufen?"

Ja, du lieber Himmel, da fragst Du mich zuviel. Die Eingänge von dieser Behörde gehen alle an den landesherr­lichen Kommissar; der liest sie und legt sie mir, je nachdem, was sie enthalten, zur Unterschrift vor. Ich unterschreibe dann diese Sachen, laste mir auch manchmal einen kurzen,, mündlichen Bericht darüber erstatten, aber das dauert oft Monate lang bis zur Erledigung; bekannt ist mir zur Zeit gar nichts davon, aber warum interessirt Dich das?"

Ihr scheint Alle nicht zu wissen, daß es unter den Juden, ganz so wie bei uns, zwei verschiedene Richtungen giebt, ja, man darf geradezu sagen, zwei verschiedene Konfessionen. Denn die Unterschiede z. B. zwischen Protestantismus und Katholizismus sind reine Spielsächelchen gegen die tiefgehende Kluft, die zwischen den alten Juden sans pürnss und den­jenigen besteht, die sich Reformjuden nennen, und den Fort­schritt und die Lossagung von den alten Satzungen des Juden­thums als Parole ausgeben."

Was sagst Du da von Fortschritt und Aufklärung, so was giebt's doch bei uns in Hessen-Kassel nicht?"

In Hassenpflug war der Reaktionär, der Büreaukrat, der ausgesprochene Gegner jeden Fortschritts bei diesen Worten erwacht.