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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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mir sagen, ob mein Loos gezogen worden ist, oder nicht?" fragte Jänkel finsteren Blicks.

Ihr fastet heute? Wißt Ihr schon nicht mehr, daß. heute Rosch Chodesch (Neumondstag) ist? Und Ihr glaubt wirklich ein gottgefälliges Werk damit zu thun? Meinetwegen. Aber das kann ich Euch sagen, daß die Leute, welche die Ziehung in Wien vornehmen, heute nicht fasten. Die trinken ihren Kaffee, essen zu Mittag, und spät Nachmittags wird erst das Loos gezogen oder nicht gezogen. Morgen kommt's in die Zeitungen; die ausführliche Liste erscheint erst einen Tag später, diese kann vor Schabbos nicht hier sein. Die Zeitungen bleiben mit den Geschäftsbriefen bis nach Ausgang des Sabbat liegen; vorher ist es nicht möglich, ein Resultat zu erfahren."

Dies leuchtete Jankel ein, und er verließ mürrischen Ge­sichtes das Haus; geplagt von dem Bewußtsein, noch drei bis vier Tage in diesem Hangen und Bangen verbringen zu müssen. Gitel wußte schon, als ihr Mann länger als sonst von der Synagoge ausblieb, den Grund dieses langen Ausbeibens. Neugierig wartete sie am Fenster die Rückkunft ihres Mannes ab, und als sie von der Ferne schon die finstere Gluth und den verstörten Blick funkelnd unheimlich leuchten sah, so glaubte sie schon, ihr Mann bringe die Hiobsbotschaft, daß das Loos nicht gezogen und die darauf verschwendete Summe von drei Gulden rettungslos verloren sei.

Während infolgedessen eine der unliebsamen häuslichen Scenen erfolgte, an welchen die jüngsten Wochen so reich waren ging Rabbi Löb Lemberger gedankenvoll in seinem Zimmer auf und ab. Das Schicksal des armen, redlichen Mannes ging ihm nahe. Er sah da so klar die demoralisirende, dämonische Macht des Geldes, welches Unheil die bloße Aussicht auf seinen