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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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Rabbi Löb Lemberger beruhigte die wackere Frau, indem er daran erinnerte, daß sie durch ungewöhnliche Umstände zu ihrer Entfernung von der Heimath gewissermaßen gedrängt wurden.

Aus freien Stücken wäre es Euch auch niemals einge­fallen von zu Hause fort nach Wien zu gehen. Aber man kann hier in Wien auch als wackere jüdische Familie leben und Gutes thun. Ich zweifle nicht daran, daß Ihr, Frau Goldberger, hier als Esches Chajil (Biederweib) ebenso Euch bewähren und Eure Kinder erziehen werdet, wie zu Hause. Aber Euretwegen, Jankel, bin ich nicht so ganz unbesorgt. In den jüngsten Monaten habe ich Euch viel zu beobachten Gelegenheit gehabt, und ich müßte nicht der gute Freund von Euch sein, der ich in Wirklichkeit bin, wenn ich Euch zum Abschied nicht meine Herzensmeinung über Euch offen und ehrlich sagte."

Jankel schlug die Augen nieder, denn es ging ihm die Er­innerung an das vielfache Mißtrauen durch die Seele, mit welchem er dem wackeren Ehrenmann so oft entgegengekommen war. Er wußte, daß ihn Rabbi Löb so gut und noch besser kannte, als er sich selber und er erwartete deshalb den verdienten Vorwurf.

Aber Rabbi Löb Lemberger fuhr gegen alles Erwarten fort:Jankel, Ihr habt Euch immer als echter jüdischer Mann geführt, habt Eure Kinder jüdisch erzogen und seid zu Gott und seiner Thora gestanden in bösen und in guten Tagen. Ihr habt es verdient, daß an Euch sich das Wort unserer Weisen, gesegnet sei ihr Andenken, bewähre:Wer die Thora in Armuth hält, wird sie am Ende auch in Reichthum halten." Aber sie haben auch gesagt:Wer sie im Reichthum preisgiebt, der wird sie noch am Ende aus Armuth preisgeben."