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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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waren sie allein, und sie fühlten sich um so verlassener und ver­einsamter, je größer der Prunk war, der sie umgab.

So wenig nach den Begriffen der Großstadt auch von einer prunkvollen Einrichtung und Ausstattung der Wohnung die Rede sein konnte, so waren doch im Vergleich zu dem tcnnenen Tisch, der hölzernen Bank, den rohen Stühlen von zu Hause, die bescheidensten Wiener Rohrstühle, der große Aus­ziehtisch und jedes einzelne Stück der Einrichtung ein Luxus in den Augen der neuen Besitzer. Sie wußten nicht, was sie mit all der Herrlichkeit anfangen sollten. Der älteste Sohn öffnete die Gashahnen, um zu sehen, wie die Luft brennt, der andere klingelte unaufhörlich, um sich am Geläute der Haus­glocken zu ergötzen, die älteste Tochter öffnete die Wasserleitung und ries Alle zusammen, um diesen Wasserfall anzustaunen. Am ersten- hatte Gitel sich mit dem praktischen Blick der Haus­frau orientirt. Sie fand aus dem Chaos etwas heraus, das allen geläufig und heimisch war, die glänzende russische Thee- maschine in der Mitte des Tisches, den Samowar. Wo der nächste Spezereihändler wohnte, bei dem man Thee und Zucker kaufen konnte, hatten die Kinder längst herausgefunden. Den Samowar hatten sie noch von zu Hause mitgebracht, er war ein Abschiedsgeschenk des Rabbiners. Die neuen porzellanenen Tassen in der Küche waren noch nicht getauwelt. Sie tranken daher ihren Thee aus den alten irdenen Töpfchen von zu Hause, aus welchen er viel besser schmeckte, als aus den neumodischen weißen Tassen, die zu zerbrechen drohten, wenn man sie recht ansah.

Beim Thee , wo ein jeder Trunk an U. erinnerte, konnte man auch in Wien recht glücklich leben. Sie hatten in U. auch ihren Empfangssalon, ihr Schlaf-, Speise- und Kinderzimmer