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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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'und trat nun unter die überraschte Familie. War das ein freudiges Wiedersehen! Zumal laut getroffener Verabredung die Familie heute Abend noch nichts von dem Tobe der Frau Seelenfreund erfahren sollte, um eben die gegenseitige Freude durch keinen Schatten zu trüben. Feiwel war mehrere Stunden da geblieben und versprach bald wieder zu kommen. Der Be­such hatte Feiwel besonders in seiner jetzigen, gedrückten Seelen­stimmung doppelt wohl tzethan. Er wiederholte ihn oft und der Verkehr schien besonders für die Familie Goldberger unge­mein vortheilhaft. Denn bei ihr begann nun ein neues Leben, in welches sie Niemand besser und rascher als eben Feiwel ein­führen konnte. Letzterer war aber in seine unjüdische, ausge- artcte Lebensweise so tief versunken, daß die guten Regungen und Vorsätze zu einem besseren Lebenswandel bald wieder ver­flogen. Er hielt es im Gegentheil für eine rettende That, die reiche, aber ungebildete Familie ihres neuen Lebens recht froh werden zu lassen. Die letztere hatte keine Ahnung davon, daß Feiwel im Herzen und durch die That längst mit dem Juden­thum und seinen Lebensvorschriften gebrochen hatte; sie ver­trauten sich daher blindlings der Leitung des alten, neuen Freundes an.

Mendel und Schmul hießen jetzt bald Manfred und Siegmund und Feiwel sorgte auch dafür, daß die Kinder im Religionsunterricht unterrichtet wurden, eine Disziplin, von der Jankel sowohl als Gitel so wenig eine Ahnung hatten, als von dem, was eine Konditorei ist. Aber sie ließen Feiwel ge­währen, und dieser führte die Knaben einem jungen Doktor zu, der ein Schüler Jellineks war und der leichtes Spiel hatte, aus den herrlichen Knaben moderne Juden im schlimmsten Sinne des Wortes zu machen.