Druckschrift 
Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
Seite
258
Einzelbild herunterladen

258

V.

In seinem bequemen Fauteuil ruhte Herr Jacques, weiland Jankel Goldberger in dem Privatkabinet seines Comp­toirs und war in die Lektüre derNeuen Freien Presse" ver­tieft. Obwohl im Besitz noch ganz guter Augen, hatte er sich eine Brille zugelegt, weil er von verschiedenen Leuten gehört hatte, daß sie viel besser mit, als ohne Brille lesen konnten. Das Studium der großen Zeitung nahm den ganzen Vor­mittag bis zur Börsenzeit in Anspruch. Aus alter Liebe für Lumpen, Knochen, altes Eisen u. dergl. suchte er in dem Jn- seratentheil erst die Parthieen aus, in welchen diese Gegenstände gesucht oder angcboten wurden, ohne daß er je etwas in diesem Artikel gekauft oder verkauft hätte, seitdem er in Wien lebte. Dann erst studirte er die übrigen Annoncen und zuletzt den Kurszettel, in dessen Wissenschaft ihn Feiwel, alias Ferdinand Seelenfreund eingeweiht hatte. Auch in die Börse hatte derselbe Jankel eingeführt. Mit seinem gesunden, praktischen Sinn hatte dieser sich in dem Tumult leichter zurechtgesunden, als sein Kompagnon selber glaubte. Das ganze Börsengeschäft der Herren Jacques Goldberger L Comp, bestand in Spekulationen für eigene Rechnung oft der waghalsigsten Art, die aber alle so vollständig glückten, daß längst vor Verlauf eines Jahres Jankelseine" 300 000 Gülden beisammen hatte. Aber er hatte sie nicht allein. Der Kompagnon und Rathgeber hatte die Hälfte und dieser Umstand machte Jänkel viele Sorgen. Da er ihm unentbehrlich war, so konnte er ihn nicht sortschicken, aber er war ein theuerer Compagnon und doch konnte er ihn nicht missen.