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was Dir vorhin unser lieber Schwiegersohn sagte. Das seien alles Förmlichkeiten und äußere Zeichen, die uns an gewisse Wahrheiten erinnern sollten, wenn man aber dieser Wahrheiten ohnedies eingedenk sei, dann bedürfe es der äußeren Form nicht."
„Und was hast Du ihm darauf erwidert?"
„Ich sagte ihm, wenn es nur aus die Gesinnung und nicht auf die äußere Form ihrer Bekundung ankommt, dann genüge mir auch seine freundschaftliche Gesinnung für mich, und es bedürfe nicht der äußeren Form des Händedrucks oder gar des Kusses, das wäre dann nur Heuchelei oder gedankenlose Förmlichkeit. Dränge ihn aber seine kindliche Liebe dazu, dieselbe auch durch äußere Formen auszudrücken, dann fehlt jedenfalls diese Gesinnung gegen Gott, wenn er so gering von der äußeren Form denkt, in die sich die Gesinnung kleiden soll."
„Das hast Du gut gemacht, Gitel, Warum hatte ich nicht vorhin den Einsall, als mir Feiwel dieselbe Schmuoh (Geschichte) sägte? Wo hast Du nur Deine Chochmo her?"
„Ich glaube nicht, daß ich Chochmo habe," erwiderte in aufrichtiger Bescheidenheit die Gefragte. „Das Alles steht in Zceno Urennoh und in den anderen Seforim. Aber wenn Dir auch das bischen Weisheit fehlt, das Du bei mir vermuthest, so kommt es daher, daß Du keine Gottesfurcht hast. Gottesfurcht ist der Anfang zur Weisheit, hat Schelomo Hamelech gesagt. Wie kann man aber Weisheit erlangen, wenn man nicht einmal den Anfang dazu hat? Häite ich Chochmo, ich wäre niemals von U. in das glänzende Wiener Elend gezogen, in dem unsere Kinder Heiden geworden sind und wir auf dem besten Wege uns befinden, es zu werden."